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Die Zarin (German Edition)

Die Zarin (German Edition)

Titel: Die Zarin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Alpsten
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Sternenhimmel. In Walk angekommen, wechselte ich ohne Schwierigkeiten den Karren und bestieg ein Fuhrwerk in Richtung Marienburg. Mir bleiben jetzt nur noch einige Kopeken. Sofia hatte meine Bedürfnisse knapp berechnet.
     
    Das Fuhrwerk erreichte die Mauern von Marienburg am späten Nachmittag. Es war schon dunkel, das Pech der Fackeln roch sauer, und es hatte während all der Zeit nicht aufgehört zu schneien. Alles in Marienburg war ähnlich wie in Walk, nur sehr viel größer. Menschen liefen trotz der einfallenden Dunkelheit geschäftig durch die Gassen und wichen dabei geschickt den Fuhrwerken und Pferden aus, auch wenn sie den Bettlern dabei auf die Finger traten. Wurden die Fußgänger doch mit Matsch und Schnee vollgespritzt, so fluchten sie und drohten mit den Fäusten. Mir fiel nur auf, wie viele Soldaten auf den Straßen waren. Das mußten die sagenhaften Kräfte des schwedischen Königs sein! Sie sahen in meinen Augen aus wie andere Menschen auch. Allerdings handelte es sich bei ihnen um außergewöhnlich schöne Männer: Groß, blond und stolz sahen sie aus in ihren blauen Uniformen und den langen, warmen Mänteln, die sie um die Schultern trugen.
    Das Fuhrwerk hielt vor einem kabak , aus dem gerade ein Betrunkener geworfen wurde. Über der Tür hing ein goldenes Kleeblatt. In einem kabak wird kein Essen angeboten, sondern nur Wodka. Die Männer kippten dort in rascher Folge mehrere Gläser davon, um so schnell als möglich so betrunken als möglich zu sein. Unser Fahrer schnalzte mit der Zunge und warf die Zügel der Rosse einem Jungen zu, der zu diesem Zweck am Eingang des kabak lungerte. Dann stieg er vom Kutschbock, schüttelte seine Beine, die in derben Leinenhosen steckten, und strich sich die groben Holzschuhe im Schnee ab. Er schob seine Lederkappe mit dem Rand aus Kaninchenfell in den Nacken und drehte sich zu uns: »Wir sind angekommen! Alles raus!« raunzte er. Er war offensichtlich zufrieden, daheim zu sein, und konnte den Besuch im kabak kaum abwarten.
    Meine beiden Mitreisenden der letzten Tage, ein junges Paar, stiegen vor mir aus dem Wagen. Mir fiel auf, wie liebevoll er sich um sie kümmerte. Das Mädchen war in gesegneten Umständen, und sie stand offensichtlich kurz vor der Niederkunft: Sie bewegte sich in ihrem weiten Sarafan, einem tulup und den groben Stiefeln nur sehr unbeholfen. Mich hatte noch nie ein Mann so nett behandelt – wenn ich von Grigoris tollpatschiger Freundlichkeit einmal absah! Dann reichte der junge Mann auch mir seine feste Hand, und ich raffte meinen Rock, um auf die Straße zu springen. Das junge Paar musterte mich kurz und freundlich und murmelte dann ein scheues Leb’ wohl.
    Ich war traurig, aber was hatte ich erwartet – daß sie mich nach Hause mitnahmen? Die Not schafft die wirrste Hoffnung und die tiefste Enttäuschung.
    Ich sah noch, wie er beide Bündel schulterte und schließlich seinen Arm fürsorglich um ihre Schultern legte. Er selber ging auf der Seite der Straße, so daß sie durch die Häuser vor den drängelnden Menschen geschützt war. Ich verlor sie in der Menge aus den Augen. Die Einsamkeit sprang mich an wie ein hung riger Wolf einen schutzlosen Reisenden im Winterwald: Sie griff mich an der Kehle, beutelte mich, und ich schluckte schnell meine Tränen hinunter. Ich hielt mein Bündel vor die Brust gepreßt und sah mich um. In welche Richtung sollte ich mich wenden? Da bemerkte ich, daß der Fuhrmann noch immer bei seinen Pferden stand und mich musterte. Er fuhr sich mit einem Splitter Holz zwischen den Zähnen herum und begutachtete dann und wann, was er so in seinem Mund fand. Der Junge vor dem kabak untersuchte noch die schweren Hufe der Pferde nach kleinen Steinen oder scharfen Splittern.
    »Weißt du nicht wohin, Mädchen?« fragte der Fuhrmann und warf den Splitter in den Schnee. Dann griff er in den Beutel, der an seinem Gürtel hing, und förderte eine Prise Kautabak zutage. Er schob sie sich unter die Oberlippe und begann ruhig daran zu saugen. Er musterte mich schweigend, während er auf meine Antwort wartete. Nach einem Augenblick spuckte er einen Strahl von rotem Tabakspeichel in den Schnee.
    Ich war angewidert und schüttelte den Kopf. »Nein. Ich brauche ein Dach über dem Kopf und dann eine Arbeit! Ich bin fleißig und …«, fügte ich eifrig hinzu. Er machte nur eine abwehrende, gleichgültige Geste.
    »Hast du Geld?« forschte er weiter.
    Ich zuckte die Schultern und versuchte, gelassen zu bleiben. »Ein wenig, gerade

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