Die Zarin (German Edition)
Entzündungen. Ich wich unwillkürlich einen Schritt zurück.
»Wer bist du?« fragte er schließlich.
»Das frage ich mich gerade – wer bist du?« fragte ich zurück. »Dies ist die Hütte meiner Familie! Moritz Skawronski und Elisabeth Rabe mit ihrer Familie – was tust du hier?«
Er zuckte mit den Schultern, kratzte sich am Kopf und furzte. Dabei hob er einen Fuß. »Moritz … wie? Den Namen habe ich nie gehört …« Er starrte mich unverhohlen an.
»Aber – das ist unsere Hütte! Unsere isba !« wiederholte ich.
Er sah mich traurig an und schüttelte dann den Kopf. »Ach, Mädchen – die wohnen hier wohl nicht mehr! Aber – komm herein, es zieht in die Stube!« Er öffnete die Tür und machte eine einladende Geste und zog mich dann in die isba . Verworren nahm ich wahr, daß auf dem Ofen eine Frau und zwei Kinder schliefen. Die Frau hob den Kopf mit dem vom Schlaf zerrauften Haar und knurrte unwillig wegen des kalten Windes, der mit mir in die isba kam. Ich sah mich um. Nein, ich täuschte mich nicht – dies war unserer Hütte! Das war der Ofen, den mein Vater gebaut hatte. Dies war unsere rote Ecke mit dem niedrigen Tisch, den Schemeln und der Bank. Sogar unsere beiden Bottiche waren noch da, und auch der von Ruß schwarze Kessel, in dem Elisabeth Rabe die Abendsuppe gekocht hatte. Ich setzte mich auf die niedrige Holzbank. Dort hatte ich vor langen Monaten mit meinem Vater gesessen, als Wassili in unsere Hütte kam. Sogar die Ikone des heiligen Nikolaus hing noch, nur das kleine Kreuz aus hellem Holz war verschwunden. Seine Umrisse waren jedoch noch als Schmutzschatten an der Wand zu sehen. Ich schlüpfte aus dem Mantel und schob meine Stiefel an die Tür. Der Schnee, der an den Sohlen klebte, schmolz zu einer Lache auf dem Stroh am Boden.
Der Mann schlurfte an den Herd und schenkte uns beiden zwei Schalen tschai ein. Er gab heißes Wasser aus einem verbeulten Kessel auf eine kleine Handvoll der bitteren Blätter und wiegte die Schale leicht in seinen Händen. Dazu gab er sparsam zwei Stücke von einem kleinen Fladen. Es gab wohl in der isba nichts, womit wir den Fladen hätten belegen können. Plötzlich begriff ich: Diese Leute waren arm. Dies mag aus meinem Munde seltsam klingen, denn schließlich hatte auch ich mein Lebtag weder einen Rubel noch einen Taler gesehen! Aber wenn unsere Kost auch schlicht gewesen war – Hunger hatten wir nie gelitten!
Wir schwiegen eine Weile, und ich kaute fast zornig an dem kleinen Stück Fladen. Mein Gastgeber schlürfte laut und genüßlich den tschai aus seiner Schale.
»Was ist hier geschehen?« fragte ich zwischen zwei Schlucken tschai . Das Getränk war so heiß, daß ich mir den Mund daran verbrannte. Einen Augenblick lang blieben meine Lippen und mein Gaumen ohne Gefühl.
Der Mann schüttelte nur den Kopf. »Ach, Mädchen – wenn ich das nur wüßte!« Er sah mich mitfühlend an und fuhr dann fort: »Die Natur und der große Gott spielen verrückt! Der letzte Sommer war auf einmal so heiß, daß das Korn auf den Feldern in Flammen stand! Die Arbeiter auf den Feldern starben wie die Fliegen an Hitzschlag. Es stank gotterbärmlich nach Tod, und die Leichen trieben im Fluß … und dann, im Herbst, gab es natürlich keine Ernte! Der Hunger kam – aber was für ein Hunger! Die Menschen aßen Hunde und Würmer! Einige schnitten angeblich sogar den Toten das Fleisch von den Rippen! Und nun dieser Winter … was soll aus uns werden?«
»Was ist mit dem Kloster? Es ist doch die Pflicht der pomeschtschiki uns zu helfen …?« unterbrach ich ihn. Ich konnte nicht glauben, was er da sagte.
Er lachte kurz auf. »Das Kloster! Die Mönche verriegelten Tür und Tor, weil sie selber nicht genug Vorräte hatten! Sie hatten Angst, die Schweinehunde! Diejenigen der Seelen, die noch kräftig genug waren, flohen mit Sack und Pack. Weiß der Teufel, wo sie hin sind! Gegen wostok vielleicht, nach Osten, von wo sie damals von den Mönchen angekauft und umgesiedelt worden waren? Ich weiß nicht, was mit deiner Familie passiert ist. Die isba war leer, als wir hier ankamen. Allerdings war sie vollständig eingerichtet. Es hat an nichts gefehlt. Aber der Name deiner Familie sagt mir nichts.«
Er musterte mich kurz, und ich sah deutlich, daß seine Augen an jeder Einzelheit meines seltsamen Aufzuges hängenblieben. Unter dem warmen Hemd sah man mein Kleid nach deutscher Art.
»Aber … bist du Deutsche? Dein Kleid …! Das sieht unanständig aus, so eng geschnürt um die
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