Die Zarin (German Edition)
für die nächsten Tage!« Ich wollte meine Hand in meinen Beutel gleiten lassen, um ihm die Münzen zu zeigen.
»Laß stecken, Mädchen.« Er schien zu überlegen. »Hm – komm mal her!« Er streckte eine Hand nach mir aus. Ich machte zögerlich die ein, zwei Schritte zu ihm hin. Er nahm mein Kinn hoch. Seine Hand roch nach dem Leder der Zügel, dem Kautabak und starrte vor Dreck. Dann schob er mein Kopftuch zurück und befühlte eine Strähne meines Haares. Er musterte mich eindringlich, dann kniff er mich in die Wange und lachte.
»Ich habe gar nicht gesehen, wie hübsch du bist, als du zugestiegen bist! Mußt den Kopf nicht so gesenkt halten, weißt du? Du machst einem Mann schon Lust. Wenn du willst, verhandeln wir noch einmal über deinen Fahrpreis!« Er grinste mit den Stummeln, die er statt Zähnen im Mund hatte. Sein Zahnfleisch war rot und faulig von zuviel Kautabak.
Ich spürte, wie ich rot wurde, und zog mich unwillkürlich von ihm zurück. Ich nahm mein Bündel wieder auf und wollte weggehen.
»Bleib’ hier«, sagte er und hielt mich am Arm zurück. »Wo sind deine Eltern?« fragte er dann.
Ich zuckte die Schultern. »Tot oder fort, ich weiß es nicht.« Es gelang mir, meine Stimme ruhig zu halten.
»Kannst du lesen oder schreiben?« fragte er dann.
Ich schüttelte nur den Kopf. Seltsamerweise schien gerade diese Antwort ihn zu befriedigen.
»Ich weiß was für dich. Komm mit.« Er befahl dem Jungen vor dem kabak kurz, auf das Fuhrwerk aufzupassen und ihm eine Flasche Wodka bereitzuhalten. Dann verschwanden wir gemeinsam im Gewirr der Gassen. Er hielt mein Handgelenk fest umgriffen, aber er schien dies nicht aus Fürsorge zu tun – vielmehr, als wolle er vermeiden, daß ich ihm davonlief! Wie lange wir so in raschem Schritt durch den dichten Schneefall und die vielen Menschen liefen, weiß ich nicht mehr, aber es schien mir eine Ewigkeit zu sein. Plötzlich machte er vor einer kleinen Tür halt, über deren Rahmen eine Kerze in einem roten Glas brannte. Er klopfte an die Tür, wartete einen Augenblick und stieß sie dann auf. Er schob mich zuerst in den engen, muffigen Gang im Inneren des Hauses und folgte dann nach. Die Tür schloß er sorgfältig hinter sich.
Er schlug mir auf den Hintern und wies auf die schmale Stiege, die nach oben führte. Ich zuckte ob seiner groben Vertraulichkeit zusammen. Irgendwo lachte eine Frau schrill. Es klang, als hätte sie zuviel Wodka getrunken.
»Nun mach schon, los, geh hoch!« Er stieß mich noch einmal an, und ich begann vorsichtig die Stufen hinaufzusteigen. Es blieb mir wirklich nichts anderes übrig, denn die Tür nach draußen deckte er sorgsam mit seinem Rücken ab. Es war warm im Haus und ich löste beim Hochgehen die Verschnürung und den Gürtel an meinem tulup . Er stapfte hinter mir die Treppen hoch.
Dieselbe Frau lachte wieder hoch und schrill, doch jetzt verwandelte sich ihr Lachen in ein Kreischen. Ich hörte ein seltsames Geräusch, so, als ob eine Hand auf nacktes Fleisch schlägt. Ich nahm die letzte Stufe. Der Fuhrmann rief in den Gang: »Natalja? Bist du da, Mutter?«
Seine Mutter? Hatte er mich nach Hause gebracht? Ich wurde immer verwirrter. In diesem Augenblick öffneten sich alle vier Türen, die auf den Gang führten. Aus jeder steckte ein Mädchen den Kopf heraus. Sie alle waren so geschminkt wie das Mädchen damals in Meister Lamperts Zelt der Wunder. Eine hatte offenes, zerzaustes Haar, ihre Brüste schimmerten nackt im Halbdunkel, und ihre Schenkel steckten in einer reichlich schmutzigen Spitzenunterhose, die ihr bis zu den Knien reichte.
»Oh – eine Neue!« sagte sie dann und leckte sich anzüglich die Lippen. Neben ihr steckte ein schwedischer Soldat den Kopf zur Tür hinaus und lallte: »Wo? Kann ich sie ausprobieren?«
Seine Begleiterin klapste ihn auf die Schulter, und er lachte.
»Ich habe schon mit dir genug zu tun, du fette kleine Metze!« Sie begann wieder zu lachen. Es war dasselbe schrille Lachen, das ich vorher gehört hatte.
Metze, hatte er das wirklich gesagt? Es war ein Haus für lose Mädchen! Ich hatte schon in Walk von Olga von diesen Häusern gehört! Sie wollte davon nur im Flüsterton sprechen, aber wer hätte geglaubt, daß es so etwas wirklich gab? Ich befand mich nun mitten in einem dieser Hurenhäuser, und dies ohne erkennbaren Ausweg aus dieser Lage!
Die anderen Mädchen musterten mich nicht unfreundlich. Sie sprachen jedoch miteinander, als sei ich nicht vorhanden, und eine zog mir sogar
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