Die Zarin (German Edition)
Zaren. Zeiten wie diese erfordern einen neuen Menschen, und jeder sucht seinen Platz. Es dauert noch hundert Jahre, bis alles seinen Platz findet«, fügte sie dann hinzu, ohne die Augen von den dreien in der Mitte des Zeltes zu lassen.
»Sie gefallen dem Zaren?« fragte ich vorsichtig nach. Schau an! Hatte die schlaue Darja ihr Ziel vielleicht höher gesteckt, als wir alle ahnten?
Anna lächelte mich freundlich an. »Du machst das schon richtig, Martha – gut zuhören wie eine Frau und feiern wie ein Mann! Was Warwara und Darja angeht – sie hoffen, daß mein Bruder eine von ihnen heiraten wird. Beide aber sind auch dem Zaren zu Gefallen. Sie tun alles, was er von ihnen verlangt. Mit ihm und auch miteinander. Wenn er nun Anna Mons davonschickt, so könnte eine von ihnen deren Platz einnehmen. Deshalb die Aufregung! Vielleicht werden wir noch einen echten Kampf unter Schwestern erleben!«
Sie lächelte, wie mir im Halbdunkel des Zeltes schien, blutrünstig. Ihre Augen glitzerten. »Seitdem die Zariza Jewdokija kahlgeschoren im Kloster sitzt, kann es jede von ihnen sein. Oder jede von uns …«, fügte sie dann noch hinzu. »Jewdokija weigerte sich, mit Alexander Danilowitsch und mir an einem Tisch zu sitzen. Jetzt hat sie dumme Nonnen und auch einige Ratten zu ihrer Gesellschaft.«
Mit diesen Worten erhob sie sich und ließ mich in der Ecke unter dem Vorhang am Eingang allein. Jede von uns sollte den Zaren erobern können? Niemand konnte mir erzählen, daß dies nicht die Krönung von Menschikows Aufstieg wäre: Seine Schwester als Zariza von Rußland! Hatte Menschikow sie deshalb aus Moskau anreisen lassen? War der Zar nahe?
Es war noch nicht so spät am Abend, aber ich war doch schon müde. Was sollte ich tun? Weiterhin beobachten, wie Darja und Warwara sich gegenseitig die Brüste streichelten und Menschikow zu jedem ihrer Küsse im Takt klatschte? Es war mir unangenehm, denn die Öffentlichkeit der Zärtlichkeiten schien mir unsittlich. Da sah ich Boris Petrowitsch unter den Feiernden und erhob mich, um zu ihm zu gehen. Er saß alleine im Schatten des Zeltpfostens und ruhte auf Kissen. Vor ihm standen unberührt ein vollgehäufter Teller und ein voller Krug Bier. Scheremetjew war ein Mann des Maßes. Menschikows prachtliebende Art mußte ihm zuwider sein, das spürte ich. Er beobachtete alles und jeden im Zelt und sah dann angelegentlich auf seine Fingernägel.
Als ich stand, hörte ich von draußen aufgeregte Stimmen in das Zelt dringen. Ich wollte mich umdrehen, aber im selben Augenblick schlug es mir den Vorhang des Zeltes so hart gegen die Brust, daß ich nach hinten taumelte und es mir kurz den Atem verschlug. Ich fand am Pfosten des Zeltes Halt.
Als die Sterne vor meinen Augen aufhörten, im Takt der Musik zu tanzen, stand da vor mir der Mann von dem Gemälde über dem Schreibtisch: Peter, der Zar aller Russen. Er ragte im weichen Licht der Kerzen auf und warf einen langen Schatten über mich.
Ich wankte etwas vor Erstaunen, und er griff mich fest unter den Ellenbogen und sagte in hartem Deutsch: »Na, Mädchen, jetzt noch nicht ohnmächtig werden! Man wird dich bestimmt noch brauchen!«
Ich reichte ihm nur bis zum Oberarm, obwohl ich eine große Frau war. Er erschien mir jedoch riesenhaft, aber gleichzeitig fiel mir in diesem nur kurzen Augenblick auf, wie klein die Hand war, die mich da so festhielt. Er lächelte mich an, drückte vertraulich und prüfend meinen Arm und ging in das Zelt hinein. Ich blieb zurück und versuchte erst noch, zu begreifen, was geschehen war.
Im ersten Augenblick herrschte vollkommenes Stillschweigen in der Runde, als er in ihre Mitte trat. Dann fingen die Männer an zu jubeln und zu rufen, neue Korken schossen aus den Flaschen und die Musikanten spielten schneller, wilder und lauter auf.
Ich ließ mich nach Bauernart auf meine Fersen nieder und beobachtete alles von meiner Ecke aus. Der Zar begrüßte die Prinzen Sotow, Golowkin, Naryschkin und Trubetzkoi herzlich. Dann ging er direkt auf seinen Freund Menschikow zu. Der schob Darja und Warwara beiseite und streckte die Arme nach Peter aus. Der Zar rief laut und zu meiner Überraschung wieder auf deutsch aus: »Mein Bruder! Mein Herz! Du hast mir gefehlt! Ohne dich macht mir nichts Spaß!«
Menschikow stand ihm in nichts nach: »Meine Liebe, mein Zar! Was ist ein Tag ohne dich?«
Ich sah, daß Scheremetjew leise und spöttisch seine Lippen kräuselte. Ich schlich zu ihm hin und ließ mich neben ihm nieder. Er war
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