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Die Zarin (German Edition)

Die Zarin (German Edition)

Titel: Die Zarin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Alpsten
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werden! Die Verbindung zwischen Menschikow und unserem Zaren ist eng – aber ich will bei Gott persönlich jeden fordern, der den Ruf meines Herrn auf solche Weise beschmutzt!«
    Ich verstummte und nahm beschämt einen Schluck Bier. Er redete mit einem versöhnlichen Ton weiter. »Aber es ist ja nicht verwunderlich, daß die Leute so einen Unsinn reden! Überall waren sie beisammen – während des Feldzuges nach Asow haben sie sich sogar ein Zelt geteilt! Und auf der großen Gesandtschaft in Europa war Menschikow mit Peter in Deutschland, Holland, England und Österreich! Er hat sogar den Schiffbau mit dem Zaren studiert, auf der Werft in Holland teilten sie sich eine Stube. Ehe er dann zurückkam und den Strelitzen nach ihrem Aufstand im Juni vor fünf Jahren die Köpfe abhackte. Eigenhändig hat er Hunderte von Strelitzen hingerichtet! Vielleicht liebt ihn Peter deshalb so …«
    »Weshalb sollte der Zar ihn dafür lieben?« fragte ich erstaunt und griff ein Bein von dem gebratenen Fasan, der auf Scheremetjews Teller lag. Seine Haut war mit Honig bepinselt worden, und unter der goldgelben, süßen Kruste war das Fleisch zart und rosig. Ich konnte den Köstlichkeiten im Zelt Menschikows nicht widerstehen, und mein Korsett spannte schon nach diesen wenigen Wochen, die ich dort war.
    »Wie soll ich dir das erklären – das ist lange her …«, wehrte Scheremetjew ab. »Es war zu Beginn der achtziger Jahre im letzten Jahrhundert, noch zu Zeiten der Regentin Sophia, erinnere ich mich. Die Strelitzen waren damals das mächtigste Regiment in Rußland, an die fünfzigtausend Mann stark! Die Mitgliedschaft in ihren Reihen war erblich, und sie waren alle fett und wohlhabend. Sie fürchteten aber dann den westlichen und offenen Einfluß der Familie der Zariza Natalja Naryschkina, Peters Mutter. Sie war die zweite Frau des Zaren Alexej, und der Alte war zu seinen Lebzeiten ganz vernarrt in sie gewesen. Kein Wunder! Sophias Mutter hat ihm kerngesunde Mädchen geboren, aber die beiden Söhne Fjodor und Iwan waren schwach oder gar vertrottelt. Peter dagegen war schon als Kind stark wie ein Pferd.«
    »Was hat dies mit den Strelitzen zu tun?« fragte ich und nahm mir von den baltischen Heringen auf Scheremetjews Teller.
    »Nun, ganz einfach: Die Strelitzen wußten, daß sie in einer moderneren Armee als vollkommen unbedeutend untergehen würden und suchten einen Sündenbock. So stürmten sie den Kreml, hackten den ehrwürdigen Matwejew, den Ziehvater von Peters Mutter, mit ihren Äxten in Stücke und töteten alle im Palast auf grausamste Weise vor den Augen des kleinen Zaren! Seinen Onkel Iwan Naryschkin warfen sie auf die Spitzen ihrer Piken und ließen ihn dort langsam über zwei Tage hinweg verbluten. Dann hielten sie den Leichnam dem kleinen Zaren Peter vor die Nase, nannten ihn im Beisein seiner Mutter einen Hurensohn und drohten ihm dasselbe Schicksal an. Aber sie ließen ihn, seinen vertrottelten Halbbruder Iwan, mit dem er damals gemeinsam herrschte, und die Zariza Natalja lebendig ziehen! Das war Sophias großer Fehler. Sie ließ ihn am Leben, denn sie nahm ihn nicht ernst. Weshalb, kann ich mir nicht erklären.«
    Er schüttelte den Kopf, trank etwas Bier und tunkte das mit Fleisch gefüllte Brot, das neben dem Fasan auf seinem Teller lag, in die eingelegten Preiselbeeren. »Die Erinnerung daran soll Peter bis heute verfolgen – er hat Albträume, und es soll auch andere Dinge geben, von denen ich hier nicht sprechen will. Aber genau deshalb liebt er Menschikow so sehr für jeden Strelitzen, den jener bei dem Aufstand vor vier Jahren mit seinen eigenen Händen geköpft hat. Bis zu den Knien stand er in Blut und Köpfen, aber er machte weiter, immer weiter, bis ihm die Arme schwer wurden von dem Gemetzel und ihm der Schweiß in Strömen über den Körper lief. Peter war bei ihm, er weinte und küßte Menschikow für jeden Schlag. Es war, als besiegte Alexander Danilowitsch jeden einzelnen seiner Dämonen.«
    Er machte noch einmal eine Pause. »Ich hätte das nie gekonnt. Nie. Einen Menschen eigenhändig zu köpfen? Ich regiere über ein Schlachtfeld, aber dies? Njet ! Nein!«
    Mich schauerte bei der Erzählung. Wie grausam mir die Russen erschienen! Wie seltsam war ihre Art, sich zwischen wilder Lebenslust, gläubiger Reue, entsetzlicher Grausamkeit und tiefem Mitleid hin- und herzuwerfen! Es schien kein Gleichmaß und keine Ruhe in der russischen Seele zu geben. Ich tröstete Scheremetjew: »Nein, Boris Petrowisch,

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