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Die Zarin (German Edition)

Die Zarin (German Edition)

Titel: Die Zarin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Alpsten
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sicherzugehen, daß wir auch alleine im Zelt waren, und senkte dann seine Stimme: »Dann dieser schlichtweg irrsinnige Plan, eine neue Stadt zu bauen …« Er stockte in seinem Satz. Der Vorhang zum Nachbarzelt hob sich: Heraus trat der Zar, der sich die Hose zugürtete und sich das verschwitzte Hemd in den Bund stopfte. Erkannte er uns im Halbschatten des leeren Zeltes nicht, oder wollte er uns einfach nicht wahrnehmen? Ein Mensch wie er, so dachte ich, war wohl nie wirklich alleine. Das fahle Licht warf Schatten auf sein Gesicht. Seine strahlenden, blauen Augen schienen tief in ihren Höhlen zu liegen. Er wischte sich mit seinem Ärmel etwas Schweiß von der Stirn und seufzte.
    Scheremetjew und ich saßen ganz still, ohne uns zu rühren. Es war, als beobachteten wir ein scheues Tier. Der Zar ließ sich in einen der breiten, bequemen Stühle fallen und streckte die Beine von sich. Dann hob er einen Krug an den Mund und trank in großen Zügen. Etwas Bier rann seitlich von seinem Kinn über seinen Hals. Peter ließ den Kopf in den Nacken fallen und begann entspannt, ein kleines Lied zu summen. Nach einigen Augenblicken schien er in einen Halbschlaf zu fallen. Scheremetjew und ich nickten einander zu. Es war Zeit zu gehen. Ich wollte mich in meine Ecke rollen und unter einer weichen Decke einschlafen.
    Doch irgend etwas ließ den Feldmarschall auf einmal stutzen. Er legte seine Hand auf meinen Arm. Ich verstand nicht, folgte aber seinem Blick zum Zaren hin. In diesem Augenblick glitt Peter der halbleere Krug aus der Hand. Er zerbrach auf dem Boden, und das Bier spritzte in alle Richtungen. Bei dem Geräusch schreckte der Zar auf, seine Augen waren weit aufgerissen, jedoch schien er nichts in seiner Umgebung wirklich wahrzunehmen. Er sprang auf und stützte sich, unsicher auf den Beinen, auf den Tisch neben sich, der sofort unter dem Gewicht des Mannes nachgab. Die Platte brach, und die Teller und Becher darauf rutschten auf die Teppiche. Das Essen und das Bier hinterließen dort große Flecken. Bei all dem Lärm, den das verursachte, vergrub Peter den Kopf in den Händen und begann leise zu wimmern. Dann plötzlich, ohne Vorwarnung trat Schaum vor seinen Mund, und der riesenhafte Mann schlug um sich. Mit einer seiner Fäuste zertrümmerte er einen Stuhl. Dabei begann er zu schreien: »Nicht noch einmal … nein! Nicht noch einmal! Mutter … Mutter! Sie zerreißen ihn! Blut, Blut, viel zuviel Blut …, was habe ich getan? Was habe ich getan? Nein – nicht Iwan! Mein Onkel! Laßt uns doch leben! Laßt uns doch leben …, Mutter! Was habe ich getan?«
    Er warf sich zu Boden und krümmte sich dort wie unter Schmerzen. Er zog seine Knie an und weinte: Sein ganzer, großer Körper wurde von Schluchzen geschüttelt. Zwischen den Tränen schrie er immer wieder: »Was habe ich getan?« und »Blut, Blut, Blut … ach nein, es ist so furchtbar!«
    Seine Augen rollten in ihren Höhlen, und ich konnte sehen, wie er seine Zunge zwischen die Lippen steckte. Scheremetjew stand wie erstarrt neben mir. Der Zar erinnerte mich an Grigori. Wir durften keine Zeit verlieren. Ich sagte zu Boris Petrowitsch: »Wenn du seine Beine hältst, dann besorge ich den Rest.«
    Ich verlor alle Furcht: Hier war nur ein gepeinigter Mensch, der Hilfe brauchte. Peter zuckte mit allen Gliedern und stieß unverständliche, gepeinigte Worte hervor. Es war mir gleichgültig, daß ich diesen Mann für den großen Krieg und die Wunden, die er meinem Land zufügte, eigentlich hassen sollte. Scheremetjew ergriff beide Füße des Zaren und drückte sie nach unten. Der starke Körper seines Herrn bäumte sich auf: Der Zar schlug mit rudernden Armen nach seinem treuen Feldherrn. Er erkannte nichts und niemanden mehr in seinem Wahn. Ohne zu zögern, kniete ich neben ihm nieder, griff nach seinem zuckenden Kopf und zwang ihn mit aller Kraft an meine Brust. Ich umschlang seinen Hals mit beiden Armen und wiegte ihn sanft. Ich wich seinen Armen geschickt aus, und seine Zuckungen wurden schwächer. Ich sah zu Scheremetjew, der noch immer auf den Füßen des Zaren saß.
    »Ich wußte, daß dies passiert!« klagte er dann. »Der lange Ritt, die Frauen und dann das Bier waren zu erschöpfend! Peter sieht sich gerne als Titan, aber er ist nicht bei guter Gesundheit!«
    Ich hatte keine Ahnung, was ein Titan sein sollte, und legte nur den Finger auf meine gespitzten Lippen. Scheremetjew verstummte. Peter lag nun still, und ich wiegte ihn hin und her, hin und her. Sein Gesicht

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