Die Zarin (German Edition)
war naß, und seine dunk len Haare klebten verschwitzt an seinen Schläfen. Sie rochen nach Staub, Rauch, Schweiß und nach der Liebe mit Darja Arsenjewa.
Ich sah mich um. Menschikow und die beiden Mädchen mußten im Nachbarzelt eingeschlafen sein. Der Mann an meiner Brust bohrte seine Nase tief in meinen Busen und atmete dort schwer. Seine beiden nun freien Arme schlangen sich fest um meinen runden Leib. Ich streichelte seinen Kopf. Er weinte leise in mein Kleid. Scheremetjew erhob sich vorsichtig von den Füßen des Zaren, die nun ruhig lagen. Mein Blick blieb an seinen Stiefeln hängen. Mir fiel wie schon bei seinen Händen auf, wie klein seine Füße im Verhältnis zu dem Rest seines Körpers erschienen!
»Du mußt in der Nähe bleiben, Martha. Er wird jetzt einschlafen. Laß’ ihn nicht los. Er darf sich auf keinen Fall verletzen. An ihm hängt alles«, sagte Scheremetjew und wiederholte fast schmerzlich: »Alles.«
Ich nickte, und er strich mir über die Haare. Dann schlüpfte er aus dem Zelt in eine unruhige Nacht. Die Feuer wollten nach der Ankunft des Zaren und seiner Männer nicht ausgehen. Ich hörte Stimmen, die Scheremetjew Fragen stellten. Dann wurde es wieder stiller.
Peter atmete jetzt leise und regelmäßig an meinem Busen. Ich zog vorsichtig einige der bestickten Kissen zu mir. Als ich Peters Kopf von meiner Brust heben wollte, wehrte er sich sofort und schlang seine Arme fester um mich. »Das ist gut …«, seufzte er dann auf russisch. »Halt mich fest, matka .«
Er nannte mich »altes Mädchen«! Nun, so blieb mir nichts anderes übrig, als mir die Kissen in den Rücken zu stopfen. Ich hörte nicht auf, ihm über die Haare zu streichen. Die Kerzen um mich herum brannten leise vor sich hin, und es wurde dunkel im Zelt. In dieser Haltung, den mächtigen Zaren von Rußland wie ein weinendes Kind in meinen Armen, schlief ich ein. Im letzten Moment des Wachseins erinnerte ich mich an die Frage, die Ulrike Glück vor langer Zeit am Tisch ihrer Familie gestellt hatte: »Stimmt es, daß der Zar riesengroß ist, zwei Köpfe hat und kleine Kinder frißt?«
Am nächsten Morgen erwachte ich allein. Das Zelt war leer. Der Zar war fort, und auch von Menschikow und den Arsenjewas war keine Spur zu sehen. Die Klappen der Eingänge waren hochgeschlagen, und eine schon kalte Herbstluft zog durch das Zelt. Als ich ins Freie trat, blendete mich das helle Tageslicht. Das Lager um mich herum war im Aufbruch. Endlich fand ich Darja, die gemeinsam mit ihrer Schwester das Verladen ihrer Kleider und der Schätze Menschikows überwachte. Ich versuchte, nicht auf die Biß- und Saugmale an ihrem Hals zu starren. Sie erzählte mir, daß der Zar in aller Frühe abgereist sei, ohne sich von irgend jemandem zu verabschieden.
»Als ich aufwachte, war er schon fort!« sagte sie etwas schmollend, doch mit einem geheimnisvollen Lächeln. Ich schwieg und lächelte sie an.
Der Zar hatte Menschikow den Marschbefehl hinterlassen, die Festung Nöteburg am Ladogasee einzunehmen. Zwei Wochen lang belagerten die Russen die Festung, und dann, nach einer entscheidenden Seeschlacht, gelang ihnen der Sturm und der Sieg. Im Oktober desselben Jahres erklärte Menschikow die Festung zu russischem Besitz. Der Zar ernannte ihn zum Dank zum ersten Oberstatgalter an der Meerenge. Allerdings änderte er ihren Namen: Peter taufte sie die Schlüsselburg, da sie die Mündung des Flusses Newa bewachte. An Menschikow schrieb er: » Die Nuß war schwer zu knacken! Aber, gelobt sei Gott, es ist Dir gelungen, ihre Schale zu sprengen !«
Menschikow selber ließ voll kindischen Stolzes den Brief immer und immer wieder vorlesen, auf jedem einzelnen der vielen Feste, die dem Sieg folgten. Im folgenden Monat sandte Menschikow die Arsenjewas und mich nach Moskau. Im Winter war das Leben im Lager für eine Frau wahrhaftig kein Vergnügen. Den Zaren sah ich bis zum Julfest, dem Neujahrsfest, nicht wieder.
Kein Zweifel, die Stadt schlief nicht. Der Schnee fiel in dichten Flocken und lag auf den Straßen, Promenaden und Prospekten schon bis zu den Radnaben der Karren der Händler, die sich zum Morgenmarkt durch das unwirtliche Wetter quälten. Draußen vor der Stadt, wo der schwache Schein der Kerzen in den Laternen der weiten Alleen nicht hinreichte, konnte man sicherlich vor Schneetreiben weder Weg noch Pfad erkennen. Bis zum Anbruch des Tages mit seiner düsteren, vor Schnee schweren Helligkeit war es noch einige Zeit. Bis
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