Die Zarin (German Edition)
waren recht schnell wieder nüchternen Geistes. Ich denke, die Matrosen waren mehr als erleichtert, als sie mit einem Geschenk von fünfhundert Goldtalern wieder nach Hause segelten. Für Peter war dieser Besuch jedoch das erste Zeichen der Anerkennung, die er sich vom Westen Europas erhoffte: Er versprach jedem weiteren Schiff, das in demselben Jahr noch anlegen sollte, dieselbe großzügige Gabe!
Ich preßte meine Stirn gegen das kalte Glas des Fensters. Vielleicht kühlten sich meine hitzigen Gedanken so ab. Ich sprach und lachte ja jetzt leise mit Peter, ganz so, als sei er hier mit mir im Raum! Ganz so, als sollte ich meine Füße so wie früher auf seine Schenkel legen, damit er sie kneten konnte. Seine kleinen Finger, die fest über meine Ballen und Zehen strichen, so daß die hundert kleinen Knochen darin knackten, die Sehnen sich wärmten und ich wieder Leben in den kalten Beinen hatte. Oder: Feuer in den Schenkeln, wie er es sagte. Die Fensterscheibe warf mir mein Bild zurück, und ich konnte meine glitzernden Augen und die geröteten Wangen erkennen. Ich strich mir einige Haarsträhnen aus dem Gesicht, die sich aus meiner Fatonge und dem Perlengesteck gelöst hatten. Ich mußte zur Ruhe kommen und meine Gedanken sammeln für die langen Stunden, die vor mir lagen.
Dann, so Gott wollte, konnte Rußland im Takt der Glockenschläge für das Wohl seiner neuen Herrscherin beten. Für den Augenblick schnarchte hinter mir jedoch nur noch immer Menschikow laut wie ein Bär, seinen Kopf in den Nacken gelegt und den Rachen so weit aufgerissen, daß ich seinen Gaumen erkennen konnte. Das Feuer im Kamin war in den Stunden des Wartens fast niedergebrannt. Es hatte einige Male an die Tür geklopft, und immer war ich hastig gelaufen, um sie zu öffnen. Doch ich blickte nie in die Gesichter der Männer, auf deren Kommen ich so hoffte! Mein Geheimer Oberster Rat, der mich als Herrscherin bestätigen konnte. Wo blieben sie nur? Sie sollten sich doch im Palast befinden, um ihrem sterbenden Herrscher beizustehen! Saßen sie beisammen in Tolstois Palast und einigten sich auf ein Vorgehen? Konnte ich wirklich so auf ihre Treue vertrauen, wie ich angenommen hatte? Unzählige Male hatte ich ihre Köpfe gerettet. Doch das wollte nichts heißen: Wie vergeßlich sind Menschen, wenn es um ihr eigenes Wohl geht! Seitdem ich den jungen Diener mit seinem Auftrag, die Männer zusammenzurufen, losgeschickt hatte, hatte ich ihn nicht wiedergesehen. Der Winterpalast in seinen leuchtenden, frohen Farben des Regenbogens hatte in den Stunden dieser Nacht fast so viele unheimliche Ecken, endlos lange Gänge und verschlungene Stiegen wie der düstere Kreml in Peters Kindheit! Wer achtete schon auf einen Diener mehr oder weniger, der auf Nimmerwiedersehen hinter einem Vorhang und einem dunklen Ausgang zur Newa hin verschwand? Daß ich daran nicht vorher gedacht hatte! Vielleicht wurden gerade mal die Ratten aufmerksam, wenn sein Körper schwer auf das dunkle, schmutzige und vom Eis befreite Wasser unterhalb des Palastes fiel. Fischer würden dann nach der ottepel seine von den Fischen angefressene Leiche stromabwärts in ihren Netzen finden. Ich biß mir vor Anspannung in die Handgelenke, bis ich Blut schmeckte. Wenn mein Bote abgefangen und ermordet worden war, so wußten die Dolgorukis jetzt von meinem Plan. Schlimmer noch, ich hatte dann wertvolle Stunden verloren! Ich hätte Menschikow und die Garde schicken sollen und nicht einen Kammerjungen! Wie konnte ich nur so dumm sein?
In diesem Augenblick verschluckte sich Menschikow wohl an seinem Speichel, und hustete laut und heftig. Er richtete sich trunken in seinem Stuhl auf. Er schüttelte sich wie ein Hund, der aus dem Wasser kommt, stand auf und streckte seinen großen Körper mit offenen Armen durch. Er wirkte nach dem kurzen Schlaf erfrischt: Diese Gabe hatte mich stets nach seinen nächtelangen Sauf- und Raufgelagen erstaunt. Er trat neben mich an das Fenster, und ich zog den sauren Geruch nach Alkohol, Schweiß und der Erschöpfung der durchwachten Nächte ein, der sein Parfum von Sandelholz und Moschus überlagerte. Sein Haar war zerrauft und sein Jabot verrutscht. Zudem breitete sich über seine Brust ein großer Fleck von dem Rotwein, den er zuvor getrunken und verschüttet hatte. Ich griff ihm sanft an den Hemdkragen und rückte ihm das Spitzenjabot wieder in den sorgsam gefalteten Knoten. Er sah mich einen Augenblick lang erstaunt an und lächelte dann. Alles an diesem Mann
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