Die Zarin (German Edition)
dahin, Peter, war dein Tod noch ein Geheimnis zwischen mir und unserer Stadt. Die Steine der hohen Häuser mit den ebenen Fassaden schwiegen ihre Trauer um dich in die Nacht. Die Wasser unter den vierhundert Brücken brachten murmelnd ihre Bestürzung zum Ausdruck, und nur die Winterwinde, die auf dem Newski-Prospekt tanzten, trugen die Nachricht ungehorsam mit sich in das russische Hinterland. Dorthin hinaus, in die in ihrer Vielfalt endlosen Weiten deines Landes, wo man stets die Launen und auch die Last von batjuschka Zar geduldig ertragen hatte. Nur noch einige Stunden: In der fahlen Dunkelheit des russischen Tages sollten alle Glocken des Reiches mit einem Mal düster und eintönig läuten. Deine Untertanen lassen ihr Geschäft ruhen und knien nieder. Was immer sie auch gerade tun: Sie bekreuzigen sich mit drei Fingern und beten für die Seele ihres toten Zaren. Es ist ein Bild, das dir Freude bereiten sollte! Alle Russen und auch die gesamte uns bekannte Welt werden auf deine Stadt blicken. Ganz so, wie du es doch immer wolltest: Alle blicken auf Sankt Petersburg, dein Paradies.
Dank Feofan Prokopowitsch gibt es ja wirklich keinen Mangel an Legenden um die Stadt, dachte ich bei mir.
Es hieß, Peter habe den ersten Stein der Stadt an der Stelle gelegt, an der Sankt Alexander Newski sich erfolgreich gegen die Teutonen geschlagen habe.
Es hieß auch, der Zar sei im Wald zur Jagd gewesen. Als er an einem Bach Rast machte, um zu trinken, kreiste ein Adler über ihm und ließ sich sanft auf der Schulter des Zaren nieder. Das war die Stelle, an der Peter dann seine Stadt gründete.
In einer dritten Geschichte wanderte Peter durch die Sümpfe um die besiegte schwedische Festung von Nyenschantz östlich der Schlüsselburg. Dort sah er im Schlamm des Flusses eine Insel liegen, Lust Eland. In diesem Augenblick breitete ein Adler seine Schwingen über ihn und geleitete den Zaren zur Mitte der Insel. Dort schnitt Peter ein Kreuz aus Birkenästen. Er legte es zu Boden und erklärte: »Im Namen Jesu Christi: Hier werde ich eine Kirche und eine Festung errichten im Namen der Heiligen Peter und Paul!«
Was kann ich dem hinzufügen? Mir bleibt nur die Wahrheit. Mitte Mai des Jahres nach dem Sturm auf Marienburg entschied sich der Kriegsrat auf Peters Anweisung hin, den Sieg von Schlüsselburg durch den Bau einer russischen Festung zu untermauern. Das neugewonnene Eigentum an den baltischen Ländern sollte geschützt werden. Der Zar und sein Rat entschieden sich für Lust Eland, einen vergleichsweise trockenen Flecken im Sumpfland zwischen dem Ladogasee und der Bucht von Finnland. Dennoch, als Peter auf der Insel das Grab für die Knochen des Sankt Alexander Newski ausheben ließ, versanken wir bis zu den Knöcheln im weichen Schlamm. Die stechenden Mücken schwirrten uns um die Köpfe. Wir schlugen während der langen, eintönigen Zeremonie ganz unwürdig nach ihnen, obwohl Bedienstete dazu abgestellt waren, sie zu verjagen. Die Biester saugten dennoch gierig an unserem Blut. Nur der Zar stand ungerührt in dem Schwarm der blutrünstigen Mücken, die durstig über ihn herfielen, und sah mit steinernem Gesicht zu, wie der Sarg Alexander Newskis langsam, ganz langsam in seine Grube gelassen wurde.
Am Abend waren meine Arme von den Mückenstichen mit Pusteln und Entzündungen übersät, und ich sah schrecklich aus. Darja hieß mich, Kefir darauf zu schmieren. Es half tatsächlich, und der Zar sprach weiter unbeirrt von dem Paradies, das er inmitten dieser unwirtlichen Gegend schaffen wollte.
Ich war damals schon bereit, ihm jedes Wort zu glauben und jeden Schritt mit ihm zu gehen. Dabei war ich gerade erst zu seinem Gefolge gestoßen – sein Mädchen, dem er nach einer Nacht voll warmen Fleisches, des Lachens und der Lust eine Münze in den Schoß warf. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ich hatte keine andere Wahl.
Prokopowitsch ließ die Leute auch gerne glauben, daß das Land von St. Petersburg unbewohnt war, als der Zar dort zu bauen begann. Das war natürlich Unsinn – schließlich lebten die schwedischen Offiziere erstaunlich bequem in großen Häusern und Höfen, und überall um das Wasser des Ladogasees verteilt waren isby wie die meines Heimatdorfes zu ihrem mir zusammengerottet.
Das erste wahrhaftige Haus von St. Petersburg war jedoch die Hütte, die Peter sich selber errichtete. Er ging ganz ohne Eskorte in die mit Mücken verseuchten Wälder mit einer Axt auf seiner Schulter, obwohl Räuberbanden
Weitere Kostenlose Bücher