Die Zarin (German Edition)
sie als Kind gespielt hatte.
»Was machst du hier? Wie bist du hier hereingekommen?« fuhr ich sie an. Wenn sie hier war, dann konnten auch schon andere wissen, daß der Zar tot war.
»Oh, das war ganz einfach …« Sie schob die vollen Lippen vor und ihre Augen glitzerten herausfordernd. »Der Gang war fast leer – alle sind ins Bett gegangen oder auf ihren Stühlen eingeschlafen. Madame de la Tour hat Natalja ins Bett gebracht, weil die Kleine angefangen hat, wie der Tod zu husten! Die französische Heuschrecke ist dann gleich mit ihr fortgeblieben. Und Anna …«
Ich winkte ab. Meine älteste Tochter Anna war unfähig, sich mit etwas anderem als ihrer bevorstehenden Hochzeit mit dem deutschen Karl Friedrich von Holstein-Gottorp zu beschäftigen! Der junge Herzog war gewiß keine Schönheit: Er war schmächtig in den Schultern und stotterte. Eigentlich hatte er um Elisabeth angehalten, aber Peter war von der Idee einer deutschen Vermählung begeistert gewesen und bot ihm kurzerhand seine älteste Tochter an.
Elisabeth fuhr dennoch fort, nur um mich zu ärgern: »Und letztendlich war da nur noch der junge Soldat vor der Tür. Ich weiß, er hatte Befehl, niemanden durchzulassen.« Sie lächelte mich an. »Aber ich habe ihn überredet!« Ihre kleine rosa Zunge fuhr einmal anzüglich über ihre Lippen, und sie lächelte mit ihren scharfen kleinen Zähnen wie eine Katze, die freien Zugang zum Sahnetopf hat.
Mein Herz sank. Die Zarewna Elisabeth Petrowna war nichts als ein Soldatenliebchen! Von den Porzellanpuppen war sie nahtlos auf lebendige, große und muskulöse Spielzeuge übergegangen. Sie war erst fünfzehn Jahre alt: Ein Jahr jünger, als ich es gewesen war, als Elisabeth Rabe mich an Wassili verkaufte. Meine Tochter aber hatte in diesen jungen Jahren schon den schlechtesten Ruf aller Prinzessinnen in Europa! Peter hatte ein Bild seiner kleinen Elisabeth an alle Höfe Europas mit heiratsfähigen Prinzen gesandt – und dabei mußte der Maler ihr nicht einmal schmeicheln. Nein, meine Tochter hatte keine Hasenscharte! Ihre Haut war nicht von den Blattern verunstaltet, und ihre Zähne standen weiß und gerade in ihrem Mund. Dennoch: Peter verstand nicht, weshalb alle Höfe in Europa das Gemälde mit Dank und höflichen Worten postwendend nach St. Petersburg zurücksandten! Niemand wagte es, ihm den Grund dafür zu nennen! Dabei hatte es anfänglich an Bewerbern um ihre Hand nicht gefehlt: Kaum war sie der Kinderstube entwachsen, da gab es schon Gerüchte um einen Antrag durch den Herzog von Kurland. Oder war es Prinz Manuel von Portugal? Auch August von Sachsen erwähnte einen jungen Vetter wohlwollend, einen Sohn des Markgrafen Albert von Sachsen. Peter sah in Elisabeth nur, was er sehen wollte: Sie hatte seine Kraft, sein Lachen, seine Lebenslust geerbt! Sie hatte sich schlichtweg geweigert, schon als Kind zu sterben. Ich hatte Elisabeth nach Stunden qualvollster Wehen im Jahr der großen Schlacht von Poltawa mit den Beinen zuerst auf diese Welt gebracht. Die Hebamme bekreuzigte sich entsetzt, als sie die kleinen Füße aus meinem Körper kommen sah, wo sie den Kopf erwartete:
»Heilige Mutter Gottes! Auch das noch!« rief sie aus und schlug die Hände über dem Kopf zusammen.
»Was soll das heißen!?« hatte Darja sie erschöpft angefahren, während sie mir ein in Kampfer und Zitrone getränktes Tuch unter die Nase hielt. Ich schnappte nach Luft und preßte noch einmal mit aller mir verbliebenen Kraft. Ich wollte dieses Kind nur endlich zur Welt bringen! Die Hebamme zog an den kleinen Beinen, und Elisabeth tat fast augenblicklich ihren ersten, empörten Schrei. Die Hebamme nahm den Säugling in den Arm und rieb sie mit weicher Baumwolle trocken, ehe sie ihn in dem bereitgestellten lauwarmen Wasser badete. Dann schüttelte sie nur den Kopf: »Wo sie doch schon unter den Oktobersternen geboren ist – das schlechteste Zeichen für eine Frau! Und nun kommt sie mit den Füßen zuerst zur Welt! Vor denen muß man sich in acht nehmen! Sie sind wild wie Wölfe!«
»Was geschieht jetzt?« fragte Elisabeth mich leise
»Was meinst du? Was soll nun geschehen?« Wieder klang meine Stimme schärfer, als ich es wollte. Elisabeth lächelte, so, als ob sie meine Gedanken erriet.
»Wird der kleine Peter jetzt Zar? Er ist doch nicht einmal Zarewitsch!«
»Ja – aber er ist Alexejs Sohn! Und ein Mann! Das genügt«, fügte ich bitter hinzu.
»Ein Mann!« Elisabeth schnaubte verächtlich durch die Nase. »Weißt
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