Die Zauberer 01 - Die Zauberer
nicht seiner Meinung, doch objektiv betrachtet nimmt er für sich nur in Anspruch, was auch Bruder Farawyn zugestanden wurde.« »Ich danke dir, Vater«, sagte Palgyr, der noch immer in der Mitte des Saales stand, den orkischen Anwärter neben sich, und deutete eine Verbeugung an. »Die Unholde sind unsere Feinde, das steht außer Frage. Aber es gibt auch viele unter uns, die in den Menschen Feinde sehen und sich von ihnen bedroht fühlen. Wir alle wissen, dass Krieg und anderweitige gewalttätige Konfrontationen keine Lösung sind. Wenn wir die Grenzen des Reiches dauerhaft sichern und in Frieden leben wollen, so kann die Antwort nur ein gegenseitiges Einvernehmen sein, und dazu gehört auch, dass wir alte Vorurteile und Abneigungen überwinden.«
Der Älteste legte eine kurze Pause ein, so als würde er fast hoffen, dass sich Widerspruch regte. Aber die Ratsmitglieder, selbst Palgyrs erbitterte Gegner, hörten aufmerksam zu.
»Bei den Menschen«, fuhr Semias fort, »ist es uns gelungen, unser Urteil zu revidieren, und das Ergebnis erfreut uns alle: Der Novize Granock hat die Prüfung bestanden und befindet sich mit seinem Meister bereits auf einer Mission, die dem Wohl unseres Volkes und der Sicherheit des Reiches dient. Warum also sollte dies nicht auch für einen Unhold gelten? Wollen wir uns bei unserer Entscheidung wirklich von Äußerlichkeiten leiten lassen? Von der Farbe der Haut? Oder der Augen? Ich war gerade ebenso erschrocken wie ihr, eine von Margoks Kreaturen an diesem geweihten Ort zu erblicken. Aber den Prinzipien unseres Ordens folgend, trachte ich danach, hinter das Offenkundige zu schauen und die Wahrheit hinter dem Offensichtlichen zu ergründen. Und wer weiß, vielleicht steht dort die Zukunft des Ordens, auch wenn wir es zu diesem Zeitpunkt noch nicht ermessen können. Denn eines hat uns die Geschichte ganz sicher gelehrt: dass Kriege nicht allein durch Wachsamkeit und Misstrauen verhindert werden können, sondern dass Bündnisse und gegenseitiges Vertrauen mindestens ebenso wichtig sind.« »Und wenn man unser Vertrauen missbraucht, Vater?« Es war Codan, der gesprochen hatte, nicht erregt und im Zorn wie zuvor, sondern beherrscht und ruhig, dafür aber voller Besorgnis. Der Blick, mit dem er Semias bedachte, traf den Ältesten bis ins Mark, denn er verlieh all jenen Bedenken Ausdruck, die auch der Älteste hegte - und die er doch leugnen musste, wollte er nicht, dass die Institution, an die er glaubte und der er zeit seines Lebens gedient hatte, in einem einzigen Sturm der Entrüstung auseinanderbrach.
Vielleicht hatte er sich etwas vorgemacht, und der innere Zerfall des Rates war schon sehr viel weiter fortgeschritten, als er es sich hatte eingestehen wollen. Wenn es so war, würde sich dieser Prozess nicht beliebig lange aufhalten lassen. Aber noch war es nicht so weit, noch war nicht alles verloren. Nicht an diesem Tag. Nicht unter seinem Vorsitz.
»Lass mich dir mit einer Gegenfrage antworten, Bruder«, sagte er ebenso beherrscht wie zuvor Codan. »Wenn wir dem Wort eines Mitbruders nicht mehr Glauben schenken dürfen, eines Elfen, der die Eidesformel geschworen und sein Leben in den Dienst des Ordens gestellt hat, wem können wir dann noch trauen? Sein Leben lang hat sich Bruder Palgyr für den Erhalt des Ordens und für die Wahrung seiner Werte und Traditionen eingesetzt...« Während er sprach, schaute er Palgyr direkt an, als wolle er ihn auf der Stelle bannen. »Ich kann nicht glauben, dass er all dies leichtfertig und eines kurzfristigen Vorteils willen aufs Spiel setzt.«
»Gut gesprochen, Vater.« Palgyr verbeugte sich abermals. »Tatsächlich liegt mir nichts ferner als dies. Und euch allen«, fügte er hinzu, an den linken Ratsflügel gewandt, »kann ich nur zurufen, nicht nachzulassen in eurem Bemühen, den Orden zu erneuern und ihn einer neuen Zukunft entgegenzuführen. Ich selbst habe mich dagegen gesträubt, aber das war ein Fehler. Farawyn hat mir die Augen geöffnet, und dafür bin ich ihm dankbar. Wir dürfen nicht abwarten, bis die Veränderungen uns einholen, sondern müssen ihnen mutig und entschlossen entgegentreten, so wie es auch unsere Vorfahren stets getan haben. Nur so werden wir der Geschichte auch weiterhin unser Siegel aufdrücken.«
Seine Worte verhallten und hinterließen nichts als Stille. Obwohl sie sicher nicht genügt hatten, um alle Vorbehalte auszuräumen, war die Aufregung schweigender Nachdenklichkeit gewichen. Semias wertete sie als
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