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Die zehnte Kammer

Die zehnte Kammer

Titel: Die zehnte Kammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glenn Cooper
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Wasser lag, versuchte er verzweifelt, die Augen offen zu halten, denn jedes Mal, wenn sie ihm zufielen, sah er die Umrisse der Leichen auf dem Boden des Bürocontainers oder den in seinem Wagen erdrückten Hugo oder Zvi, dessen zerschmetterter Leichnam im Baum am Fluss hing. Er ballte die Fäuste und stellte fest, dass die Entzündung in seiner rechten Hand abgeklungen war. Offenbar hatten die Pillen der englischen Ärztin ihre Wirkung getan. Das Telefon läutete ein paar Mal. Er ließ es klingeln.
    Als er, in ein Badetuch gewickelt, später seinen Anrufbeantworter abhörte, befand sich darauf eine weitere Nachricht von Gérard Girot, der ihn dringend um eine Stellungnahme bat sowie eine Mitteilung von Pierres Vater aus Paris.

FÜNFUNDZWANZIG
    Mittwoch
    Glücklicherweise war der einzige Anzug, den Luc besaß, schwarz und damit für Beerdigungen geeignet.
    Es gab zwei in rascher Folge, die von Jeremy in Manchester und die von Pierre in Paris.
    Es ist schon ein besonderes Band, das einen Doktoranden mit seinem Doktorvater verbindet: eine Mischung aus Eltern-Kind-Beziehung, professioneller Zusammenarbeit und einer ganz speziellen Kameradschaft. Nicht immer kommt diese Beziehung zustande, manche Professoren sind zu arrogant, einige Studenten zu unreif. Luc hatte zu Jeremy und Pierre diese besondere Beziehung gehabt, und er würde über ihren Tod wohl nie ganz hinwegkommen.
    Am nächsten Morgen nahm er schwer verkatert mit dickem Kopf, trockenem Mund und einem seltsamen Stechen in der Brust einen der wenigen Direktflüge von Bordeaux nach Manchester.
    Jeremys anglikanische Beerdigung war eine eher blutlose Zeremonie, bei der seine Familie und die anderen Trauergäste stoische Gesichter zur Schau trugen. Der Pastor, ein sauertöpfischer Nordire mit grauem Gesicht, erging sich in Allgemeinplätzen und Plattitüden über einen jungen Mann, der viel zu früh zu seinem Herrn gerufen wurde. Luc hatte den Verdacht, dass der Mann Jeremy in seinem ganzen Leben nie begegnet war.
    Draußen auf dem Friedhof in einem grauen Viertel der Innenstadt von Manchester fiel kalter Regen, und als Luc an der Reihe war, Jeremys Eltern sein Beileid auszudrücken, hatte er nasse Füße. Die beiden, ein älteres Paar, das seinen einzigen Sohn offenbar sehr spät bekommen hatte, standen immer noch unter Schock und hatten nicht einmal angefangen, Jeremys Tod zu verarbeiten. Luc sagte ihnen ein paar freundliche Worte über ihren Sohn, und Jeremys Vater dankte ihm, dass er den weiten Weg von Frankreich hergekommen war. Dann fragte Jeremys Mutter: »Waren Sie dort, als es geschah, Professor Simard?«
    »Nein, Madam. Ich war in England.«
    »Was ist dort nur passiert?«, sagte sie, aber der glasige Blick ihrer Augen ließ Luc daran zweifeln, ob sie es wirklich wissen wollte.
    »Die Polizei meint, es war ein Raubüberfall. Sie ist sich sicher, dass Ihr Sohn nicht gelitten hat.«
    »Er war immer ein guter Junge, und dafür bin ich dankbar. Jetzt ruht er in Frieden.«
    »Ja, da bin ich mir sicher.«
    »Er war so begeistert von seiner Archäologie«, sagte Jeremys Vater und begann leise zu weinen.
     
    Luc hätte von Manchester direkt nach Paris fliegen können, aber er nahm lieber einen Inlandsflug nach Heathrow und von dort ein Taxi nach London. Er konnte es einfach nicht ertragen, dass Sara für ihn unerreichbar war. Jetzt war er ohnehin in England. Da musste er einfach versuchen, sie zu sehen und alles wiedergutzumachen.
    Sara wohnte in St. Pancras, einen Steinwurf von der British Library entfernt und so nahe am Institut für Archäologie, dass sie zu Fuß zur Arbeit gehen konnte. Als Luc an der Ossulston Street aus dem Taxi stieg, fiel strömender Regen aus dem schmutzig-grauen Abendhimmel. Da Luc keinen Schirm hatte, war sein schwarzer Anzug in kürzester Zeit durchnässt. Zum Glück befand sich der Eingang zu ihrem Wohnblock unter einem kleinen Vordach, denn als er die Klingel der Wohnung Nr. 21 im dritten Stock betätigte, blieben die Sprechanlage und der Türsummer hartnäckig stumm. Luc wollte gerade aufgeben, als eine Frau öffnete. Es war nicht Sara, obwohl sie in etwa so alt war wie sie. Die Frau hatte strähniges Haar und trug kein Make-up. Ein langer sackartiger Pulli versteckte ihre Figur.
    »Entschuldigung, haben Sie eben bei Sara Mallory geklingelt?«, fragte sie.
    Luc nickte.
    »Ich bin ihre Nachbarin, Victoria. Die Wände sind schrecklich dünn, und ich habe gehört, wie bei Sara ständig geklingelt wurde. Ich bin runtergekommen, weil

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