Die Zeit: auf Gegenkurs
»Soweit es mich betrifft, wohnst du hier nicht mehr.«
»Ich will meine Uniform«, knirschte er.
Er erhielt keine Antwort. Die Tür blieb geschlossen.
In seinem Streifenwagen auf dem Landedach hatte er einen Ersatzschlüssel ; erneut lief er die Rampe hinauf. Sie kann sich nicht zwischen mich und meine Uniform stellen, sagte er sich. Das ist illegal. Er erreichte seinen Wagen und suchte im Handschuhfach. Ach, zum Teufel damit; er setzte sich hinter das Steuer und ließ den Motor an. Hauptsache, ich habe meine Waffe, dachte er; er zog sie aus dem Schulterhalfter, vergewisserte sich, daß alle zwölf Kammern geladen waren – bis auf die eine, auf der der halbgespannte Schlagbolzen ruhte – und stieg dann hinauf in den Abendhimmel über Los Angeles.
Fünf Minuten später landete er auf dem verlassenen – oder besser: fast verlassenen – Landedach der Stadtbibliothek. Prüfend leuchtete er mit seiner Taschenlampe in jeden abgestellten Schwebewagen. Alle gehörten Löschern, bis auf einen, der auf Mavis McGuires Namen gemeldet war. Jetzt wußte er, auf wen er, neben Lotta Hermes, in der Bibliothek stoßen würde: auf zumindest drei Löscher und die Chefbibliothekarin.
Er hastete zum Dacheingang der Bibliothek und fand ihn versperrt. Nun, dachte er, natürlich; sie haben schon geschlossen. Aber ich weiß, daß Lotta in dem Gebäude ist, dachte er, auch wenn ihr Wagen nicht hier oben steht; wahrscheinlich ist sie mit einem Taxi gekommen. Wahrscheinlich war sie zu verängstigt, um selbst zu fahren.
Aus dem Kofferraum seines Streifenwagens holte er einen Schloßanalysator und trug ihn an seinem abgewetzten Riemen – er hatte ihm schon oft gute Dienste geleistet – zur Tür der Bibliothek. Sobald er eingeschaltet war, testete der Analysator das Schloß, horchte und erzeugte dann den passenden Nachschlüssel; die Tür schwang auf, ohne daß das Schloß beschädigt worden wäre, ohne Spuren von Gewalteinwirkung.
Er brachte den Schloßanalysator zum Wagen zurück und legte ihn wieder in den Kofferraum; dann blieb er einen Moment stehen und musterte das Arsenal an Waffen und Ausrüstungsgegenständen, das er immer mit sich führte. Was konnte ihm sonst noch von Nutzen sein? Tränengas? Sein Einsatz konnte seinen Vorgesetzten im Präsidium gemeldet werden; er würde Schwierigkeiten bekommen. Der Gehirnwellendetektor, entschied Tinbane; er wird mir verraten, wie viele Leute in der Nähe sind und wohin sie sich bewegen; so weiß ich, ob sich jemand an mich heranschleicht und aus welcher Richtung. Er griff nach dem Gehirnwellendetektor, schaltete ihn ein und justierte ihn auf Minimaldistanz; sofort tauchten auf dem kleinen Kontrollmonitor fünf scharf umrissene Lichtpunkte auf; fünf menschliche Gehirne arbeiteten nur wenige Meter von ihm entfernt, wahrscheinlich im obersten Stockwerk der Bücherei. Dann stellte er den Detektor auf Maximaldistanz, und jetzt machte er sieben Punkte aus; demnach hatte er es mit sechs Bibliotheksangestellten und Lotta Hermes zu tun, von der er annahm, daß sie einer der Punkte war.
Er nahm an, daß sie sowohl am Leben, als auch noch in der Bibliothek war.
Um sicherzugehen, setzte er sich, bevor er die Bibliothek durch die nun offene Dachtür betrat, auf den Vordersitz seines Streifenwagens, nahm den Vidfonhörer ab und wählte die Nummer des Vitariums Flasche des Hermes; inzwischen kannte er die Nummer auswendig.
»Vitarium Flasche des Hermes«, meldete sich R. C. Buckley, als er en miniature auf dem Vidfonschirm auftauchte.
»Ich möchte Lotta sprechen«, sagte Tinbane.
»Ich schau nach, ob sie da ist.« Buckley verschwand für einen Moment und kam wieder zurück. »Seb sagt, daß sie noch in der Bibliothek sein muß. Sie soll da für ihn einige Nachforschungen anstellen – einen Moment, Seb kommt schon.«
Jetzt erschien das ernste, intelligente Gesicht Sebastian Hermes’ auf dem Monitor. »Nein, sie ist noch nicht zurück, und ich mache mir wirklich Sorgen um sie. Inzwischen bedaure ich, daß ich sie geschickt habe; vielleicht sollte ich die Bibliothek anrufen und nach ihr fragen.«
»Sie würden nur Ihre Zeit verschwenden«, erklärte Tinbane. »Ich bin auf dem Dach der Bibliothek. Ich weiß, daß sie im Haus ist. Die Bibliothek ist geschlossen, aber das ist kein Problem; ich habe meinen Streifenwagen und meine Ausrüstung dabei; um es genau zu sagen, ich habe bereits das Schloß geknackt. Ich weiß nur nicht, ob ich ihnen Gelegenheit geben soll, sie freiwillig
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