Die Zeit: auf Gegenkurs
unterbrach ihn.
»Hören Sie zu, Mr. Hermes. Ihre Ausrede ist von langer Hand vorbereitet worden. Es handelt sich um einen Langzeitplan. Während Sie in Mr. Applefords Büro sitzen und das Manuskript noch in Händen halten, werden Sie es durchblättern und unvermittelt auf Seite 173 stoßen. Sie werden einen gravierenden Fehler entdecken und Mr. Appleford bitten, Ihnen einen der Leseräume im Sperrbereich zu überlassen, um einige handschriftliche Änderungen vorzunehmen. Sie sagen ihm, daß er das Manuskript erhält, sobald Sie es korrigiert haben; die Zeit, die Sie für die Änderung benötigen, geben Sie mit fünfzehn bis fünfundvierzig Minuten an.«
»Ich verstehe«, sagte Sebastian.
»Die Leseräume im Sperrbereich werden nicht überwacht«, erklärte Ray Roberts, »weil sie außer langen Hartholztischen nichts enthalten. Niemand wird Sie bemerken, wenn Sie den Leseraum verlassen. Falls man Sie aufhält, sagen Sie, daß Sie sich auf dem Weg zu Mr. Applefords Büro verirrt haben. Wir müssen uns nun genau überlegen, wo der Anarch sein könnte. Nach unserer Analyse der Bibliothek befindet er sich wahrscheinlich im obersten Stockwerk, oder zumindest in einem der beiden oberen Stockwerke. Also müssen Sie die oberen Etagen durchsuchen … Und es wird natürlich äußerst schwierig sein, sich zu ihnen Zutritt zu verschaffen. Die Bibliotheksangestellten in diesen Stockwerken tragen Armbänder von einer speziellen Farbe, die von tragbaren Radargeräten geortet werden kann. Es handelt sich um ein leuchtendes, auffälliges Blau – was äußerst nützlich ist, da ein Bibliothekswächter schon von weitem mit einem Blick feststellen kann, wer eins trägt und wer nicht. Das Papier, in dem das Manuskript eingepackt war – es besteht aus diesem speziell behandelten blauen Material. Sie werden sich aus dem Packpapier ein Armband ausschneiden und dabei den vorgegebenen gestrichelten Linien folgen; tragen Sie es in der Tasche, bis Sie Appleford verlassen, und legen Sie es dann um Ihren linken Arm.«
»Um den linken«, wiederholte Sebastian. Er fühlte sich erschöpft und müde; er brauchte Sogum, eine kalte Dusche und neue Kleidung.
»Wenn Sie einen Blick in Ihren Kühlschrank werfen, wo Sie Ihre ausgeschiedenen Lebensmittel aufbewahren«, fuhr Ray Roberts fort, »finden Sie die Überlebensausrüstung, die der Roboter Carl Junior und Mr. Giacometti vorbereitet haben. Sie werden Sie brauchen.« Er machte eine Pause. »Noch etwas, Mr. Hermes. Sie lieben Ihre Frau, und sie bedeutet Ihnen alles … aber im Rahmen der Geschichte zählt sie nicht – wohl aber der Anarch. Halten Sie immer im Auge, daß Ihre persönlichen Wünsche bedeutungslos sind, während der Anarch Peak von ungeheurer Bedeutung ist. Der Instinkt wird Sie dazu veranlassen, Ihre Frau zu suchen … also müssen Sie diesen fast biologischen Trieb unter Kontrolle bringen. Verstehen Sie?«
»Ich werde Lotta finden«, stieß Sebastian mit zusammengebissenen Zähnen hervor.
»Vielleicht gelingt Ihnen das. Aber das ist nicht Ihre Hauptaufgabe in der Bibliothek; wir haben Sie nicht ausgerüstet, damit Sie sie finden. Nach meiner Meinung …« Ray Roberts beugte sich nach vorn, so daß seine Augen auf dem Bildschirm größer wurden und ihn mit hypnotischer Kraft fixierten. Sebastian saß still und reglos da, wie ein Kaninchen, das auf die Schlange starrt, und hörte zu. »Sie werden Ihre Frau unversehrt freilassen, sobald wir den Anarchen zurückhaben. Sie sind nicht an ihr interessiert.«
»Oh, und ob sie das sind«, widersprach Sebastian. »Sie wollen sich an mir rächen, für das, was zwischen mir und Ann Fisher geschehen ist.« Er konnte Ray Roberts’ Logik in diesem Punkt nicht folgen – oder glauben; er spürte, daß Roberts selbst nicht daran glaubte. »Sie sind Ann nie begegnet. Gehässigkeit, Haß und Groll sind ihre vorherrschenden Charaktermerkmale…«
»Ich habe sie mehrmals getroffen«, sagte Ray Roberts. »Um genau zu sein, der Löschungsrat hatte sie als eine Art Emissär ohne Portefeuille nach Kansas City zu unserer Regierung geschickt. Zeitweise verfügt sie in der Bibliothek über großen Einfluß, bis sie ihre eigene Macht überschätzt und ihn wieder verliert. Möglicherweise schlägt der Mord an den Polizisten Tinbane auf sie zurück; wir haben die Polizei von Los Angeles wissen lassen, daß Agenten der Bibliothek und nicht irgendwelche ›religiösen Fanatiker‹ Tinbane getötet haben.« Sein Gesicht verzerrte sich in brennendem Haß.
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