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Die Zeit: auf Gegenkurs

Die Zeit: auf Gegenkurs

Titel: Die Zeit: auf Gegenkurs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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wie die eines gefangenen Tieres.
    »Lassen Sie sehen«, sagte Appleford ohne Umschweife.
    »Natürlich.« Arbuthnot ließ sich unsicher auf dem Stuhl vor Doug Applefords Schreibtisch nieder und reichte ihm ein umfangreiches, eselsohriges maschinengeschriebenes Manuskript. »Die Arbeit eines ganzen Lebens«, sagte er undeutlich.
    »Sie behaupten also«, begann Appleford brüsk, »wenn ein Mensch von einem Meteor getötet wird, dann deshalb, weil er seine Großmutter gehaßt hat. Schöne Theorie. Aber Sie sind realistisch genug, sie löschen zu wollen.« Neugierig blätterte er in dem Manuskript und las hier und dort eine Zeile. Abgenutzte Phrasen. Fachjargon, langatmige Sätze voller ins Gegenteil verkehrter Klischees, fantastische Behauptungen … es war ihm vertraut. Die Bibliothek bekam von diesen wertlosen Manuskripten zehn Stück am Tag vorgelegt. Sie gehörten in der Abteilung B zur Routine.
    »Kann ich es noch einmal für einen Moment zurückhaben?« fragte Arbuthnot heiser. »Um einen letzten Blick hineinzuwerfen. Bevor ich es Ihrem Büro für immer übergebe.«
    Appleford warf das umfangreiche Manuskript auf seinen Schreibtisch. Lance Arbuthnot griff danach, blätterte, stutzte dann, verharrte bei einer bestimmten Seite und bewegte beim Lesen die Lippen.
    »Was ist los?« fragte Appleford.
    »Ich … ich scheine auf Seite 173 einen wichtigen Absatz völlig verpfuscht zu haben«, murmelte Lance Arbuthnot. »Ich muß ihn berichtigen, bevor Sie das Manuskript löschen.«
    Appleford drückte eine Taste an seiner Wechselsprechanlage und sagte zu Miss Tomsen, seiner Sekretärin: »Bringen Sie Mr. Arbuthnot bitte zu einem Leseraum in den gesperrten Etagen, wo er ungestört arbeiten kann.« Er wandte sich an Arbuthnot. »Wann werden Sie es mir zurückbringen?«
    »In fünfzehn, zwanzig Minuten. Auf jeden Fall dauert es keine Stunde.« Arbuthnot erhob sich und umklammerte sein kostbares, schmuddeliges Manuskript. »Sie nehmen es zur Löschung an?«
    »Und ob ich es tun werde. Bringen Sie es in Ordnung und kommen Sie später wieder.« Er stand ebenfalls auf; Arbuthnot zögerte, dann stolperte er wieder aus Applefords Büro in das Wartezimmer nebenan.
    Und Appleford wandte sich anderen Dingen zu; er vergaß den verrückten Erfinder Lance Arbuthnot fast augenblicklich.

    Allein im Leseraum zog Sebastian Hermes mit zitternden Fingern das Armband heraus und befestigte es an seinem Ärmel. Er griff in seine Manteltasche, brachte die Überlebensausrüstung zum Vorschein und schob die Kapsel mit dem LSD-Gegenmittel in den Mund. Er achtete sorgfältig darauf, sie nicht zu zerbeißen. Die Granate hielt er unbeholfen in der linken Hand, und er dachte: Das bin ich nicht. Ich weiß nicht, wie ich das schaffen soll. Joe Tinbane hätte es schaffen können. Er war dafür ausgebildet.
    Kaum dazu in der Lage, Hand und Arm zu bewegen, injizierte er sich die helle Flüssigkeit. Nun, er hatte es getan; es ging los. Und es würde – zumindest für ihn – mehrere Stunden
    dauern.
    Er öffnete die Tür des Leseraums und blickte den Korridor hinunter. Nichts. Er huschte weiter; er entdeckte ein Schild mit der Aufschrift TREPPE und ging darauf zu.
    Es war kein Problem, der Treppe zu folgen; noch immer war niemand zu sehen. Aber als er die Tür zum – wie er glaubte – vorletzten Stockwerk öffnete, stand er einem kaltäugigen uniformierten Bibliothekswächter gegenüber.
    Der Wächter begann sich in Zeitlupe auf ihn zuzubewegen.
    Mühelos wich er dem Wächter aus; er duckte sich an ihm vorbei und lief den Korridor hinunter.
    Aus einer Seitentür trat Ann Fisher, ein dickes Bündel Unterlagen unter dem Arm, mit verschwommenen, zeitlupenhaften Bewegungen wie der Wächter. Sie entdeckte ihn, drehte sich ganz allmählich und, wie ihm schien, minutenlang zu ihm um; ihre Kinnlade fiel mit unendlicher Verzögerung nach unten, bis ihre Miene nach quälend langer Zeit, Verblüffung ausdrückte.
    »Was – machst – du …« begann sie. Aber er konnte nicht warten bis sie den ungeheuer in die Länge gezogenen Satz zu Ende geführt hatte; er wußte, daß alles schiefgegangen war. Er hätte ihr nie begegnen dürfen und auf keinen Fall so bald. Er lief an ihr vorbei und weiter den Korridor hinunter, während ihm zu spät dämmerte, daß er lange genug stehengeblieben war, daß sie ihn trotz der Zeitdifferenz zwischen ihnen hatte erkennen können. Ich hätte immer in Bewegung bleiben müssen, dachte er. In ständiger, schneller Bewegung. Aber jetzt war

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