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Die Zeit: auf Gegenkurs

Die Zeit: auf Gegenkurs

Titel: Die Zeit: auf Gegenkurs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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es zu spät.
    Er wartete auf das Schrillen er Alarmglocke; nach seinem Zeitmaßstab würden bis dahin noch Minuten vergehen. Aber es ließ sich nicht verhindern. Es war unausweichlich.
    Vor ihm standen zwei uniformierte, bewaffnete Wächter reglos an einer Tür. Er hetzte auf sie zu, bewegte sich so schnell wie möglich. Die Wächter schienen seine Gegenwart zu erahnen; sie drehten ruckartig die Köpfe – aber da war er schon an ihnen vorbei und drückte die Türklinke nach unten.
    Die Alarmglocke läutete. Ring – Ring – Ring, mit deutlichen
    Abständen zwischen den Tönen. Wie ein Tonband, dachte er, das mit der falschen Geschwindigkeit abgespielt wird, das zu langsam läuft. Er öffnete die Bürotür.
    Vier Löschungsräte – er erkannte sie an ihren Neontogen – befanden sich in dem Büro. Auf einem Stuhl in der Mitte saß der Anarch Peak.
    »Ich will nicht Sie«, entschied Sebastian spontan. »Ich will meine Frau; wo ist Lotta?« Niemand verstand ihn; für sie war es nur ein undeutliches Geräusch. Geduckt verschwand er aus dem Zimmer, ließ die vertrocknete, verschrumpelte kleine Gestalt des Anarchen zurück; im Korridor stieß er erneut auf die beiden bewaffneten Wächter, die soeben im Begriff waren, ihm ins Büro zu folgen … Er zwängte sich zwischen ihnen durch, riß sich los, als sie langsam ihre Arme hoben, und lief zum nächsten Büro.
    Nur ein leerer Schreibtisch. Aktenschränke.
    Er versuchte es im dritten Büro. Jemand – ein Unbekannter – telefonierte ; er eilte weiter.
    Im vierten Raum Regale mit Vorräten. Tot und kalt.
    Zur nächsten Etage, sagte er sich; vor sich sah er erneut ein Schild mit der Aufschrift TREPPE, und er lief in diese Richtung.
    Im obersten Stockwerk angelangt, stieß er im Korridor auf eine Anzahl von Männer und Frauen, und alle trugen, wie er, das leuchtend blaue Armband. Er glitt an ihnen vorbei und öffnete wahllos eine Tür.
    Hinter sich hörte er, wie jemand eine Waffe spannte; er wirbelte herum und sah, wie sich der Lauf eines Gewehrs hob.
    Ungeschickt warf er die LSD-Handgranate. Im gleichen Moment zerbiß er die Kapsel mit dem Gegenmittel.
    Der Lauf hob sich nicht mehr. Das Gewehr fiel dem Wächter aus der Hand; der Wächter sank auf dem Boden zu einem Häufchen Elend zusammen, die Hände abwehrend erhoben, als würde ihn etwas angreifen. Halluzinationen.
    Das LSD quoll wie Rauch hoch und breitete sich im Korridor aus. Er watete hindurch, vorbei an sich zeitlupenhaft bewegenden Gestalten, probierte Tür um Tür aus. Weitere Ange stellte der Bibliothek bei der Arbeit; mehrfach sah er die Insignien des Löschungsrats … Er sah, wie sich die Hierarchie der Bibliothek auflöste, und es war sein Werk. Aber Lotta fand er nicht.
    Endlich stellte er eine schmächtige, ältere Löschungsrätin allein in ihrem Büro. Mit großen Augen starrte er sie an. »Wo«, fragte er langsam, um sich ihrer Zeitphase anzugleichen, »ist – Mrs. – Hermes? – In – welchem – Stockwerk?« Drohend ging er auf sie zu.
    Aber schon hatte das LSD sie erreicht; sie kauerte sich zusammen, mit einem ehrfürchtigen Gesichtsausdruck. Er bückte sich, packte sie an den Schultern und wiederholte seine Frage.
    »Im – Keller«, antwortete sie schließlich mit quälender Verzögerung. Und dann zog sich die Löschungsrätin in eine private Welt aus Farben zurück; er ließ sie allein und hastete wieder hinaus in den Korridor.
    Der Korridor war voller Lärm und Menschen. Aber jeder lebte in seiner privaten Welt; sie arbeiteten nicht zusammen, koordinierten ihre Anstrengungen nicht. Also hatte er keine Schwierigkeiten, zum Aufzug zu gelangen; niemand kümmerte sich um ihn.
    Er drückte den Knopf, und nach einer fantastisch langen Zeitspanne kam der Aufzug herauf.
    Die Kabine war voller schwerbewaffneter, kampfbereiter Bibliothekswächter. Sie trugen Gasmasken; sie verfolgten, wie er – für ihre Augen – davonflitzte, und einem von ihnen gelang es, nach einem Moment seine Pistole abzufeuern.
    Der Schuß verfehlte ihn. Aber immerhin hatten sie es doch geschafft, in seine ungefähre Richtung zu schießen. Und das LSD-Gas hatte auf diese Männer keine Wirkung.
    Ich kann Lotta nicht befreien, erkannte er. Ich kann nicht den Aufzug benutzen; nicht, solange er besetzt ist. Ray Roberts hatte recht; ich hätte den Anarchen herausholen und Lotta vergessen sollen. Die Toten sollen leben, dachte er ironisch, die Lebenden sterben. Und Musik soll den Himmel fesseln. Ich bin gefesselt, sagte er sich. Sie

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