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Die Zeit: auf Gegenkurs

Die Zeit: auf Gegenkurs

Titel: Die Zeit: auf Gegenkurs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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haben mich. Ich habe nie manden befreien können, im Gegensatz zu Joe Tinbane. Nicht einmal vorübergehend. Es wäre alles vielleicht anders gekommen, wenn ich nicht Ann Fisher begegnet wäre.
    Die Droge, die er sich injiziert hatte, erfüllte ihn jetzt mit einem seltsamen Gefühl der Zeitlosigkeit. Nahezu mit einem Gefühl der Unsterblichkeit. Aber es erfüllte ihn nicht mit Stärke, nicht mit majestätischer Macht; er fühlte sich müde, schwach und hoffnungslos. Also bekommt Ann Fisher alles, was sie wollte, dachte er. Ihre Voraussagen erfüllen sich eine nach der anderen; ich bin als letzter an der Reihe, und nach Joe Tinbane und dem Anarchen und Lotta ist nun auch meine Zeit gekommen.
    Ich habe alles verdorben, erkannte er. Innerhalb von wenigen Minuten. Wenn Joe Tinbane hier wäre, sähe es anders aus; ich weiß, daß es anders aussehen würde.
    Er konnte nicht aufhören, daran zu denken; das Gefühl seiner eigenen Machtlosigkeit überwältigte ihn. Er gegen Joe. Seine Mängel; Joes Fähigkeiten. Und sie haben ihn trotzdem erwischt, dachte er hoffnungslos. Joe ist tot!
    Und ich werde ebenfalls sterben, dachte er. Bald.
    Vielleicht hätten wir es zusammen geschafft, er und ich, durchfuhr es ihn. Wenn wir gemeinsam versucht hätten, Lotta zu befreien; wir lieben sie beide. Und allein auf uns gestellt sterben wir einer nach dem anderen. Es hat einfach nicht funktioniert. Wenn er meine Warnung erhalten hätte, wenn er mich vom Hotel aus angerufen hätte, wenn …
    Ich bin alt und machtlos, dachte er. Ich hätte in meinem Grab bleiben sollen; sie haben ein Nichts ausgegraben. Die Leere; nur den Tod; die Kälte und der Moder des Grabes kleben noch immer an mir und verseuchen alles, was ich berühre. Ich spüre, wie ich wieder sterbe, dachte er. Oder vielmehr, ich habe nie aufgehört, tot zu sein.
    Er dachte; Wenn man mich tötet, spielt es keine Rolle, weil es mich nicht verändert. Aber Lotta ist anders, genau wie Tinbane anders war.
    Vielleicht kann ich, selbst wenn es mir nicht gelingt, hier herauszukommen, selbst wenn ich niemand, nicht einmal mich

    selbst, retten kann – vielleicht kann ich Ann Fisher töten. Das wäre es wert. Um Joe Tinbanes willen.

    17. K APITEL

    Aber wie messen wir die gegenwärtige Zeit,
wo sie doch keinen Raum hat?
Sie wird im Vergehen gemessen,
aber wenn sie vergangen ist, wird sie nicht gemessen;
denn dann gibt es nichts, was gemessen werden kann.
– Augustinus

    Sebastian Heimes nahm einem der sich zeitlupenhaft bewegenden Bibliothekswächter das Gewehr ab und stürmte zur Treppe. Als er sie erreichte, hörte er von unten hallende Stimmen herauftönen. Vielleicht sind sie eine Etage tiefer, hoffte er; hastig stieg er hinunter. Und stieß auf keine Gegenwehr.
    Wie im Stockwerk über ihm, wimmelte es auch im Korridor der nächsten Etage von erstarrten, schwerbewaffneten Männern. Er sah, deutlich wie durch ein Vergrößerungsglas, Ann Fisher in großer Entfernung allein stehen. Er lief in ihre Richtung, wich ohne Mühe den Wächtern aus, die versuchten, ihm den Weg zu versperren … und dann, wie schon zuvor, stand er ihr gegenüber; und wie schon zuvor, wurde sie blaß, als sie ihn erkannte.
    Langsam, um seine Worte ihrem Zeitablauf anzupassen, sagte er: »Ich – kann – nicht – hinaus. – Also – werde – ich – dich – töten.« Er hob das Gewehr.
    »Warte«, bat sie. »Ich – mache – dir – hier – und – jetzt – ein – Angebot.« Sie starrte ihn an, als sähe sie ihn nur undeutlich. »Du – läßt – mich – gehen«, sagte sie, »und – du – kannst – Lotta – nehmen – und – mit – ihr – die – Bibliothek – verlassen.«
    Meinte sie es ehrlich? Er glaubte ihr nicht. »Hast – du – die – Autorität – das – allein – zu – entscheiden?« fragte er.
    »Ja.« Sie nickte.
    »Aber ich werde dich mitnehmen«, erklärte er. »Bis sie und ich in Sicherheit sind.«
    »Bitte?« Sie bemühte sich, seine zu schnell gesprochenen Worte zu verstehen. »Okay«, sagte sie schließlich, als sie begrif fen zu haben schien, was er von ihr wollte. Sie machte einen resignierten Eindruck; überraschend resigniert.
    »Du hast Angst«, stellte er fest.
    »Nun, natürlich habe ich Angst.« Erstaunlicherweise wirkten ihre Worte nicht mehr verlangsamt; offenbar ließ die Wirkung der Injektion nach. »Du kommst hier hereingeplatzt und läufst Amok, wirfst mit Granaten um dich und bedrohst alle. Ich will dich aus der Bibliothek herausschaffen, und mir ist es

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