Die Zeit der Feuerblüten: Roman (German Edition)
oberhalb der Bucht auf einem Hügel gelegen, stach unter allen heraus. Es war größer und architektonisch anspruchsvoller gestaltet. Zweifellos George Hemplemans Domizil, Carpenter hatte Recht, man konnte es nicht verfehlen. Cat steuerte also darauf zu und dachte wehmütig an Linda Hempelmanns Heim in der Piraki Bay. Auch ihre mütterliche Freundin hatte eine wunderschöne Aussicht auf das Meer genießen können – aber hier war es noch idyllischer, und vor allem stank es nicht nach Walfett und Tod. Das Haus, das George Hempleman für seine zweite Frau Elizabeth gebaut hatte, stand zwischen alten Bäumen und neu angelegten Gartenanlagen. Die Luft war erfüllt vom Duft später Rosen.
Cat rief Chasseur zu sich, öffnete das Gartentor und folgte einem gepflegten Fußweg zur Eingangstür. Wehmütig erkannte sie den Türklopfer aus Messing wieder, der auch an Lindas Haustür gehangen hatte. Damals hatte sie ihn nie betätigt, sie war immer willkommen gewesen. Jetzt …
Cat sah noch einmal an sich hinunter. In Anbetracht der Aufmachung, in der sie George Hempleman das letzte Mal vor Augen gekommen war, hatte sie sich an diesem Tag um ein besonders ordentliches und seriöses Äußeres bemüht. Sie trug ein neues dunkelgrünes Wollkleid mit weißem Kragen und Ärmelaufschlägen aus Carpenters Warenlieferung, dazu eine schwarze Pelerine. Ihr Haar hatte sie hochgesteckt.
Die Kleidung war klug gewählt, wie Cat gleich feststellte, als sie endlich wagte, den Klopfer zu betätigen, und dann nach kurzer Zeit einer etwa sechzigjährigen Frau gegenüberstand. Elizabeth Hempleman erinnerte ein wenig an die Bilder, die Cat in Nelson von Queen Victoria gesehen hatte. Sie hielt sich sehr gerade und würdevoll, war nicht mehr ganz schlank, aber auch nicht dick – eine stattliche Frau. George Hemplemans zweite Frau trug ein schlichtes blaues Kleid, das entfernt an die Tracht der Altlutheranerinnen erinnerte, es bestand jedoch aus gutem, teurem Stoff, und die Schürze, die sie dazu angelegt hatte, war mit Spitzen verziert. Elizabeth ’ streng aufgestecktes kastanienbraunes Haar bedeckte eher eine Art Schleier als eine Haube, auch dies etwas, das Cat bislang nur von Fotografien der Queen kannte. Diese Frau wirkte allerdings nicht so unnachgiebig wie die Königin. Ihr Gesicht war rund und noch fast faltenlos, beherrscht von klugen hellblauen Augen, und sie lächelte Cat freundlich an.
»Was kann ich für Sie tun?«, fragte sie.
»Ich bin Poti … äh … Cat. Und ich war …« Cat wusste nicht, wie sie anfangen sollte.
Elizabeth Hempleman runzelte kurz die Stirn, dann kam ihr offenbar ein Geistesblitz, denn ein Strahlen zog über ihr Gesicht.
»Kitten!«, rief sie. »Man nannte Sie früher Kitten, inzwischen sind Sie natürlich längst erwachsen! Ich habe mich immer gefragt, wie Sie richtig geheißen haben, aber George weiß das nicht, und seine erste Frau hat Sie wohl immer nur › Kätzchen ‹ genannt.«
Cat nickte, erleichtert über den netten Empfang. Elizabeth Hempleman schien keine Hemmungen zu haben, über ihre Vorgängerin zu sprechen. Ein Blick in den Eingangsbereich ihrer Wohnung verriet Cat, dass sie mit dem Andenken an Linda lebte. Cat kannte die schweren deutschen Möbel noch aus Lindas Haus, an der Wand hing ein Bild von ihr.
»Ich habe keinen anderen Namen«, fand Cat endlich ihre Stimme wieder. »Nur Cat. Und bitte verzeihen Sie, dass ich hier so hereinplatze.«
»Hereinplatze?« Elizabeth Hempleman lachte, trat zurück und lud Cat ein, ins Haus zu kommen. »Liebes Kind, Sie glauben gar nicht, wie ich mich über Ihr Kommen freue. Und mein Mann erst mal. Der grämt sich seit Lindas Tod damit, wie sehr er Ihnen Unrecht getan hat. Wenn Sie auf der Straße gelandet sind, dann ist es seine Schuld, sagt er immer.« Sie musterte Cat prüfend, und was sie sah, schien ihr zu gefallen. »Wie es aussieht, hat er sich völlig umsonst Sorgen gemacht!«, konstatierte sie dann zufrieden. »Sie sehen sehr gut aus. Ich bin übrigens Elizabeth, seine zweite Frau. Kommen Sie, mein Mann ist im Garten, ich werde ihn gleich rufen. Legen Sie ab! Wir haben leider kein Hausmädchen, Sie müssen mir Ihren Umhang geben. Drinnen im Wohnzimmer ist es warm, der Kamin ist angefeuert, und ich habe gerade Tee gekocht. Bitte, Cat …«
Der zweite überaus herzliche Empfang an diesem Tag. Elizabeth Hempleman wies Cat einen Sessel am Feuer an und schenkte ihr Tee ein. Die Gebäckschale, die vor sie hingestellt wurde, enthielt Scones.
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