Die Zeit der Feuerblüten: Roman (German Edition)
die Geister einzubeziehen. Da es keine speziellen gab, griff sie auf Gebete zurück, die man sprach, wenn man Drachen aufließ, um Kontakt mit den Göttern aufzunehmen.
»Das ist ganz ähnlich«, erklärte sie ernst. »Die manu bringen Raupo-Blätter zum Sprechen, und du verschickst Worte auf eurem Papier.«
Jane hatte längst aufgehört, sich über diese Dinge zu wundern oder gar aufzuregen. Im Gegenteil. Sie hatte die karakia auswendig gelernt und leierte sie inzwischen selbst herunter, bevor sie einen Brief absandte. Irgendwann war ihr aufgefallen, dass seitdem noch nie einer verloren gegangen war.
An diesem warmen Frühlingstag traf sie den Häuptling allerdings nicht an. Überhaupt waren nur ältere Erwachsene im Dorf. Die anderen arbeiteten auf den Feldern. Cat saß im Kreise von etwa zwanzig Schülern und hörte geduldig zu, wie ein Mädchen das Einmaleins aufsagte.
»Ein mal sieben ist sieben, zwei mal sieben ist vierzehn, drei mal sieben ist zweiundzwanzig, vier mal sieben …«
»Einundzwanzig!«, berichtigte Jane. Sie sprach zwar immer noch nur gebrochen Maori, aber die Zahlen waren ihr geläufig. »Drei mal sieben ist einundzwanzig! Schlafen Sie, Cat? Sie hätten ihr das jetzt durchgehen lassen, ohne zu korrigieren!«
Cat zuckte die Schultern. »Ich hab’s überhört«, gab sie zu. »Komm, Kiri, wir suchen noch mal drei mal sieben Steine und zählen nach, wer Recht hat.«
»Was soll denn heißen, wer Recht hat?«, regte Jane sich auf. »Das sind doch wohl die Grundlagen der Arithmetik!«
Cat hob entschuldigend die Hände. »Rechnen liegt mir nicht, Miss Jane, ich war nie in einer Schule. Ich weiß allerdings, dass die Kinder das Malnehmen leichter verstehen, wenn wir Steinchen dabei zu Hilfe nehmen. Wenn Sie es besser können – ich reiße mich nicht um die Schule. Sie dürfen gern zumindest den Rechenunterricht übernehmen.«
Jane warf ihr einen bitterbösen Blick zu. Das Letzte, was sie jemals hatte werden wollen, war Lehrerin – ironischerweise der einzige Beruf, der ihr als Alternative zur Ehe offengestanden hätte.
»Ich suche den ariki «, erklärte sie anstelle einer Antwort.
Jane sah Cat forschend an. Würde sie sich verraten, wenn sie Te Haitara erwähnte? Es hieß doch, man sehe es Leuten an, wenn sie verliebt waren. Und wenn Heiratsabsichten bestanden, würde Cat dann nicht bald damit prahlen? Jane redete sich ein, dass sie dies nur fürchtete, weil sie dadurch sicher jeden Einfluss auf den Häuptling und die Geschäfte des Stammes verlieren würde. Aber … geschäftliche Dinge ließen ihr Herz gewöhnlich nicht so rasen.
Cat sah allerdings nicht mal von der Steinsammlung auf, die ihre Schüler soeben in Reihen vor sie hinlegten. »Der Häuptling ist am Fluss«, gab sie gelassen Auskunft. »Zwiesprache mit den Geistern. Er muss wohl über einiges nachdenken. Der Betrieb bei Butler hat ihn sehr beeindruckt, aber ich glaube, der Gedanke, unsere kleine Schafzucht könnte sich auch dahingehend entwickeln, macht ihm Angst.«
»Angst?«, begann Jane. »Wieso das denn, das wäre doch …«
Cat winkte ab. »Ich denke, Sie wissen, wo Sie ihn finden«, beendete sie das Gespräch. »Tatsächlich, Kiri, einundzwanzig. Wer hätte das gedacht? Und wie viel ist nun vier mal sieben?«
Jane verließ die Schule und nahm den direkten Weg zu dem Wäldchen am Fluss, in dem Te Haitara zu beten pflegte. Sie grübelte über Cat und den Häuptling nach. Der jungen Frau schien es egal zu sein, ob sie demnächst einem florierenden Unternehmen vorstehen oder nur im Dorf unterrichten würde. Oder wollte sie nur Te Haitara? Aber warum schickte sie dann Jane allein zu ihm? Müsste sie nicht eifersüchtig sein? Jane wünschte sich erstmals, besser über menschliche Gefühle Bescheid zu wissen. Sie hätte vielleicht doch ein paar dieser lächerlichen Liebesromane lesen sollen, mit denen sich ihre Schwestern die Zeit vertrieben.
Te Haitara hockte auf den Fersen im Raupo-Dickicht wie damals, als Jane ihn hier zum ersten Mal getroffen hatte. Und wieder stand er sofort auf, als sie sich näherte.
» Kia ora , Jane.« Er lächelte. »Gerade eben habe ich an dich gedacht, und da senden die Götter dich zu mir.«
Der Häuptling sprach Maori, langsam, damit Jane folgen konnte. Wenn sie unter sich waren, tat er das nun fast immer. Er wusste, dass er sie mit einem gelungenen Gespräch in seiner Sprache stolz machte, während sie es hasste, bei den raschen Diskussionen im Dorf nicht alles zu verstehen und dann
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