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Die Zeit der Verachtung

Die Zeit der Verachtung

Titel: Die Zeit der Verachtung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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blieb beim Thron stehen, setzte sich aber nicht, beugte sich nur vor, die Fäuste auf den Tisch gestützt. Er war sehr blass.
    »Vengerberg wird belagert«, sagte der König von Temerien leise, »und kann jeden Augenblick fallen. Nilfgaard drängt unaufhaltsam nach Norden. Die umzingelten Einheiten kämpfen noch, aber das ändert nichts mehr. Aedirn ist verloren. König Demawend ist nach Redanien geflohen. Das Schicksal von Königin Meve ist unbekannt.«
    Der Rat schwieg.
    »Unsere östliche Grenze, das heißt den unteren Ausgang des Pontartals, erreichen die Nilfgaarder in ein paar Tagen.« Foltest sprach noch immer sehr leise. »Hagge, die letzte Befestigung Aedirns, wird sich nicht lange halten, und Hagge ist schon unsere Ostgrenze. An unserer Südgrenze aber  ... steht es sehr schlecht. König Ervyll von Verden hat dem Imperator Emhyr den Lehnseid geleistet. Er hat die Festungen und die Jarugamündung übergeben und geöffnet. In Nastrog, Rosrog und Bodrog, die unsere Flanke decken sollten, liegen schon Nilfgaarder Besatzungen.«
    Der Rat schwieg.
    »Damit«, fuhr Foltest fort, »hat Ervyll den Königstitel behalten, doch sein Oberherr ist Emhyr. Verden ist also formal noch ein Königreich, in der Praxis aber schon eine Provinz von Nilfgaard. Versteht ihr, was das bedeutet? Die Lage hat sich umgekehrt. Die Verdener Festungen und die Jarugamündung in der Hand Nilfgaards. Ich kann die Überquerung der Jaruga nicht in Angriff nehmen. Und ich kann die dort stehende Armee nicht schwächen, indem ich ein Korps bilde, das in Aedirn einmarschiert und die Truppen Demawends unterstützt. Ich kann das nicht tun. Auf mir lastet die Verantwortung für mein Land und für meine Untertanen.«
    Der Rat schwieg.
    »Kaiser Emhyr var Emreis, der Imperator von Nilfgaard«, sprach der König weiter, »hat mir einen Vorschlag unterbreitet  ... für ein Abkommen. Ich habe diesen Vorschlag angenommen. Gleich werde ich euch darlegen, worin dieses Abkommen besteht. Und wenn ihr mich angehört habt, werdet ihr verstehen  ... werdet ihr zugeben  ... werdet sagen  ...«
    Der Rat schwieg.
    »Ihr werdet sagen«, schloss Foltest, »dass ich euch den Frieden bringe.«
     
    »Foltest hat also den Schwanz eingezogen«, murmelte der Hexer. »Hat sich mit Nilfgaard verständigt. Er hat Aedirn seinem Schicksal überlassen  ...«
    »Ja«, bestätigte der Dichter. »Er hat jedoch Truppen ins Pontartal geführt, die Festung Hagge eingenommen und bemannt. Und die Nilfgaarder sind weder über die Pässe Mahakams gezogen, noch haben sie die Jaruga in Sodden überquert, sie haben Brugge nicht angegriffen, das sie nach Ervylls Kapitulation und Lehnseid in der Zange haben. Das war zweifellos der Preis für die Neutralität Temeriens.«
    »Ciri hatte recht«, flüsterte der Hexer. »Neutralität  ... Neutralität ist für gewöhnlich gemein.«
    »Was?«
    »Nichts. Und was ist mit Kaedwen, Rittersporn? Warum ist Henselt von Kaedwen Demawend und Meve nicht zu Hilfe gekommen? Sie hatten schließlich einen Pakt, ein Bündnis. Und sogar wenn Henselt nach dem Vorbild Foltests auf Unterschriften und Siegel pfeift und ein königliches Wort für nichts erachtet, so ist er doch wohl nicht dumm? Versteht er nicht, dass nach dem Fall Aedirns und dem Abkommen mit Temerien er an der Reihe ist, dass er als Nächster auf Nilfgaards Liste steht? Kaedwen muss Demawend aus wohlverstandenem Eigeninteresse helfen. Es gibt auf der Welt keinen Glauben und keine Wahrheit mehr, aber wenigstens Vernunft existiert doch wohl noch? Was, Rittersporn? Gibt es noch Vernunft auf der Welt? Oder nur noch Hurensöhne und Verachtung?«
    Rittersporn wandte den Kopf ab. Die grünen Laternen waren nah, umgaben sie in geschlossenem Kreis. Er hatte es bisher nicht bemerkt, doch jetzt verstand er. Alle Dryaden lauschten seiner Erzählung.
    »Du schweigst«, sagte Geralt. »Und das heißt, dass Ciri recht hatte. Dass Codringher recht hatte. Alle hatten recht. Nur ich, der naive, anachronistische und dumme Hexer, hatte nicht recht.«
     
    Wachtmeister Digod, bekannt unter dem Spitznamen Zweimaß, schlug die Zeltplane zurück, kam herein, schwer keuchend und böse knurrend. Die Berittführer sprangen auf, nahmen militärische Haltungen und Mienen an. Zyvik warf geschickt einen Pelz über das zwischen den Schemeln stehende Schnapsfässchen, ehe sich die Augen des Wachtmeisters an das Halbdunkel gewöhnen konnten. Nicht, dass Digod ein besonders eifriger Gegner des Trinkens im Dienst und im

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