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Die Zeit der Verachtung

Die Zeit der Verachtung

Titel: Die Zeit der Verachtung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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warum sie nicht zu dem Bankett in Aretusa geht? Weil sie sich schämt, sich dort allein zu zeigen, ohne den Mann, mit dem man sie seit vier Jahren in Verbindung bringt. Um den man sie beneidet. Den sie verloren hat, weil sie seine Liebe nicht zu schätzen wusste.«
    »Vielleicht sollten wir von etwas anderem reden?«, schlug Yennefer mit scheinbar gleichgültiger, doch ein wenig veränderter Stimme vor. »Ciri, schenk uns ein. Verdammt, ist diese Karaffe klein. Sei so lieb und hol noch eine.«
    »Hol zwei.« Margarita lächelte. »Zur Belohnung kriegst du auch ein Schlückchen und darfst dich zu uns setzen, damit du keine langen Ohren mehr zu machen brauchst. Deine Erziehung beginnt heute, sofort, noch ehe du zu mir nach Aretusa kommst.«
    »Erziehung!« Tissaia verdrehte die Augen zur Decke. »Götter!«
    »Still, geliebte Meisterin.« Margarita schlug sich mit gespieltem Zorn auf die nasse Hüfte. »Jetzt bin ich die Rektrix der Schule! Du hast es nicht geschafft, mich beim Abschlussexamen durchfallen zu lassen!«
    »Tut mir leid.«
    »Mir auch, stell dir vor. Ich hätte jetzt eine Privatpraxis wie Yenna, bräuchte mich nicht mit Adeptinnen abzuquälen, bräuchte den Heulsusen nicht die Nase zu putzen und die Aufsässigen nicht auszuschimpfen. Ciri, hör mir zu und merk es dir. Eine Zauberin handelt stets. Ob gut oder schlecht, zeigt sich später. Aber man muss handeln, das Leben kühn beim Schopfe fassen. Glaub mir, Kleine, man bedauert nur Tatenlosigkeit, Unentschlossenheit, Zögern. Taten und Entscheidungen, auch wenn sie manchmal Trauer und Leid bringen, bedauert man nicht. Schau dir diese ernste Dame an, die dort sitzt, das Gesicht verzieht und pedantisch alles zurechtrückt, was sie nur kann. Das ist Tissaia de Vries, die Erzmeisterin, die Dutzende von Zauberinnen ausgebildet hat. Und ihnen beigebracht hat, dass man handeln muss. Dass Unentschlossenheit  ...«
    »Hör auf, Rita.«
    »Tissaia hat recht«, sagte Yennefer, den Blick noch immer in die Ecke des Bades gerichtet. »Hör auf. Ich weiß, dass du wegen Lars traurig bist, aber mach daraus keine Lebensregeln. Das Mädchen hat für solche Weisheiten noch Zeit. Und die lernt man nicht in der Schule. Ciri, geh die Karaffen holen.«
    Ciri stand auf. Sie war schon vollständig angezogen.
    Und vollauf entschlossen.
     
    »Was?«, schrie Yennefer. »Was soll das heißen, sie ist weggeritten?«
    »Sie hat angeordnet  ...«, stotterte der Wirt, bleich und mit dem Rücken an die Wand gedrückt. »Sie hat angeordnet, ihr ein Pferd zu satteln  ...«
    »Und du hast ihr gehorcht? Statt dich an uns zu wenden?«
    »Herrin! Woher sollte ich wissen? Ich war mir sicher, dass sie auf Euren Befehl hin aufbricht  ... Mir ist überhaupt nicht in den Sinn gekommen  ...«
    »Du verdammter Schwachkopf!«
    »Ruhig, Yennefer.« Tissaia legte die Hand an die Stirn. »Lass dich nicht von Gefühlen hinreißen. Es ist Nacht. Sie werden sie nicht zum Tor hinauslassen.«
    »Sie hat angeordnet«, flüsterte der Wirt, »ihr die Pforte zu öffnen  ...«
    »Und ihr habt sie geöffnet?«
    »Wegen dieser Zusammenkunft, Herrin« – der Wirt senkte den Blick  –, »ist die Stadt voller Zauberer  ... Die Leute haben Angst, niemand wagt ihnen in die Quere zu kommen  ... Wie konnte ich es ihr abschlagen? Sie hat genauso wie Ihr gesprochen, Herrin, haargenau mit der gleichen Stimme  ... Und genauso dreingeschaut  ... Niemand hat gewagt, ihr auch nur in die Augen zu blicken, geschweige denn Fragen zu stellen  ... Sie war Euch ganz ähnlich  ... wie ein Ei dem anderen  ... Sie hat Feder und Tinte verlangt  ... und einen Brief geschrieben.«
    »Gib her!«
    Tissaia de Vries war schneller.
     
    Frau Yennefer!
, las sie laut vor.
     
    Verzeih mir. Ich reite nach Hirundum, denn ich will Geralt sehen. Ehe ich in die Schule gehe, will ich ihn sehen. Verzeih mir den Ungehorsam, aber ich kann nicht anders. Ich weiß, dass du mich bestrafen wirst, aber ich will Unentschlossenheit und Zögern nicht bedauern. Wenn ich etwas bedauern muss, dann soll es Tat sein und Handeln. Ich bin Zauberin. Ich fasse das Leben beim Schopfe. Ich komme zurück, sobald ich nur kann.
    Ciri
     
    »Ist das alles?«
    »Es gibt noch ein Postskriptum.«
     
    Sag Frau Rita, dass sie mir in der Schule nicht die Nase wird putzen müssen.
     
    Margarita Laux-Antille schüttelte ungläubig den Kopf. Yennefer aber fluchte. Der Herbergswirt wurde rot und sperrte den Mund auf. Er hatte schon viele Flüche gehört,

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