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Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition)

Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition)

Titel: Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition)
Autoren: Mandy Kopp
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Zeit davor vermeintlich so gut hatte beiseiteschieben können, war wieder da. Meine Emotionen ließen sich nicht mehr kontrollieren, ich fühlte mich um Jahre zurückkatapultiert. Die schleichende Entfremdung zu Wolfgang gab mir den Rest. Im Nachhinein denke ich, dass ich mich bei ihm so lange sicher und beschützt gefühlt habe, weil ich meine Vergangenheit außen vor lassen konnte. Weil er nicht wirklich wollte, dass ich mich damit auseinandersetzte – und das war mir jahrelang nur recht gewesen. Nicht denken, nicht reden, nicht graben. Ja, ich hatte sogar Angst, dass er mich, wenn er zu viel aus meiner Zeit im Jasmin wüsste, als Nutte sehen könnte. Dass er mich ablehnen und zurückweisen könnte. Dass dieses Wissen uns hemmen, unsere Liebe kaputtmachen würde.
    Jetzt, wo mir alles wieder um die Ohren flog, war er zwar da, aber wir hatten uns längst viel zu weit voneinander entfernt. Keiner von uns beiden hatte den Mut, den anderen in sein Innerstes blicken zu lassen. »In guten wie in schlechten Zeiten«, das hatten wir uns versprochen, aber die schlechten, die auch in die guten hineinreichten, hatte nicht zuletzt ich selbst beharrlich ausgeklammert.
    *
    Kurze Zeit später suchte ich tatsächlich einen Anwalt auf und bat ihn, Akteneinsicht zu beantragen. Vielleicht könnten die Unterlagen Aufschluss über mögliche Täter geben, die noch nicht zur Verantwortung gezogen worden waren. Sofern es dahingehende Hinweise gebe, könnte ich Anzeige wegen Körperverletzung und / oder Vergewaltigung stellen. Mein Anwalt verfügte, dass sämtliche Kontakte nur über ihn zu laufen haben, um mich keinen weiteren Belastungen auszusetzen.
    Ich hoffte und wartete. Aber nichts geschah.

Die Mauer bekommt Risse
Ich möchte schreien, möchte weinen
Kann meine Stimme aber nicht hören
und meine Tränen nicht schmecken
    Im Jahr vor der Vernehmung am See hatte ich zum ersten Mal einen Therapeuten aufgesucht. Weil ich nicht mehr in den Keller hinuntergehen konnte. Die gelben Kacheln erinnerten mich an den Kühlraum in der Schweinemastanlage. Weil ich nur noch mit Mühe körperliche Nähe zulassen konnte und in Panik verfiel, wenn es nur an der Haustür klingelte. Weil ich immer häufiger Selbstmordgedanken hatte, kaum noch etwas essen konnte. Schwere Angstzustände wurden zu einem festen Bestandteil des Alltags. Ich schlief nicht mehr, betäubte mich tagsüber mit Arbeit und war so am Anschlag, dass ich glaubte, verrückt zu werden. Ich bekam Krampfanfälle, wurde mehrmals ins Krankenhaus eingeliefert. Mein Hausarzt verschrieb mir ein starkes Beruhigungsmittel. Das dämpfte mich etwas, nahm mir aber nicht die Angst. Und die übertrug ich sogar auf Wolfgang. Wenn er mich wegen irgendeiner Kleinigkeit kritisierte, hatte ich Angst vor einer Bestrafung, wartete auf einen Schlag, eine Demütigung.
    Die alten Mechanismen hatten mich fest im Griff, ich konnte nichts dagegen tun. Ich sehnte mich nach Zärtlichkeit, konnte sie gleichzeitig nicht ertragen, hatte das Gefühl, Nähe würde nur auf Sex reduziert. Ich fühlte mich gegängelt und kontrolliert, eingesperrt. Heute glaube ich, wir haben beide ein gewisses Bild des anderen geliebt, nicht den Menschen dahinter. Für mich stand Wolfgang jahrelang auf einem Podest, der unantastbare Retter, der Fels in der Brandung. Für ihn war ich wohl das schützenswerte Wesen, keine Partnerin auf Augenhöhe. Eine Illusion, der wir beide lange hinterherjagten. Nach fünf Jahren Ehe hatte ich zwar hin und wieder den Gedanken, dass das auf Dauer nicht gutgehen könnte, scheute aber die Konsequenzen. Eine Seite in mir sagte: Ich bin bereit, alles für diese Liebe aufzugeben, auch mich selbst. Die andere sagte: Ich muss gehen, oder ich gehe zugrunde. Ich zweifelte nie daran, dass Wolfgang mich liebt, auf seine Weise. Suchte nach Gründen, warum er das vielleicht nicht so ausdrücken konnte oder warum ich dies oder jenes nicht zulassen konnte.
    Ich blieb, und ich hoffte. Wir waren doch so stolz gewesen auf das, was wir gemeinsam geschaffen hatten. Aber auch dieses gemeinsame Fundament bröckelte. Wir konnten die Firma nicht länger halten, sie wurde aufgelöst, ich stieg aus der Geschäftsführung aus und musste mir eine neue Arbeit suchen. Wolfgang war nun nicht mehr länger sein eigener Chef, sondern nur noch Teilhaber in einem größeren Handwerksbetrieb. Ich selbst fand vorerst eine Teilzeitstelle als Aushilfe in einem medizinischen Labor.
    Außer zur Arbeit ging ich kaum noch unter Menschen. Mein
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