Die Zeit, die Zeit (German Edition)
die Zeitungen, dass im Fall der jungen im Vorgarten ihrer Eltern erschossenen Frau ein Durchbruch gelungen war. Der mutmaßliche Täter sei verhaftet. Es handle sich um einen Arbeitskollegen. Ein Beziehungsdelikt. Der Täter sei tot in seiner Wohnung aufgefunden worden. Er habe ein schriftliches Geständnis hinterlassen.
Peter Taler saß einen Moment lang wie betäubt am Frühstückstisch. Dann rief er Marti an.
»Ich hätte Sie auch angerufen«, behauptete der Wachtmeister. »Die kannten sich. Kein Moped involviert.«
Täuschte er sich, oder klang es ein wenig ironisch?
Marti fuhr fort: »Er ist ihr nachgestiegen, sie wollte nichts von ihm wissen, peng! So banal.«
»So banal«, wiederholte Taler. »Und unser Mopedfahrer? Haben Sie etwas herausgefunden?«
»Wir können ihn nicht identifizieren. Wir können nicht einmal sagen, ob es sich bei beiden Fotos um dasselbe Fahrzeug handelt. Sackgasse.«
Einen Augenblick war Peter versucht, Marti zu verraten, dass der Mann im Haus gewesen war. Aber dann hielt er es für besser, seine einzige Spur nicht an die Polizei zu verschwenden.
Wieder einmal versicherten sie einander, dass sie sich auf dem Laufenden halten würden, und legten auf.
Doch der Mann mit dem Moped ließ ihm keine Ruhe. Mitten in einer Bildüberlagerung unterbrach er die Arbeit und holte die beiden Mopedfahrerfotos auf den Bildschirm. Den Mann von hinten bei den Klingeln und den von vorne in der Tür.
Es ging ihm genau wie damals, als er auf den Gustav-Rautner-Weg und Knupps Garten hinunterstarrte: Etwas war anders, aber er wusste nicht, was.
Er verfuhr mit den beiden Fotos gleich wie mit den alten und den neuen Gartenbildern: Er lud sie in das Fotoprogramm und überlagerte sie.
Das Licht war anders.
Die Schatten stimmten nicht überein. Auf dem ersten Bild zeigten die der Briefkästen und der drei immergrünen Büsche am Rand des Plattenwegs nach Westen. Es war Vormittag.
Auf dem zweiten Foto waren sie kürzer, und auch ihr Winkel hatte sich verändert.
Der Mopedfahrer warf beim Verlassen des Hauses kaum mehr einen Schatten.
Plötzlich war Taler klar, was das bedeutete: Es musste kurz vor Mittag sein.
Das hieß, die Fotos waren zu verschiedenen Zeitpunkten gemacht worden. Der Mopedfahrer war mehrmals gekommen.
Er wollte gerade Knupp fragen, ob die Fotos möglicherweise an unterschiedlichen Tagen entstanden waren, als er die Antwort selbst fand: Das Moped war deckungsgleich. Es war auf dem ersten Foto exakt gleich geparkt wie auf dem zweiten.
In der ganzen Zeit, in der die Schatten wanderten, hatte niemand das Moped bewegt.
Sein Fahrer war stundenlang im Haus geblieben.
Taler verließ wortlos seinen Arbeitsplatz.
Knupp, der ihm gegenübersaß und Referenzfotos für die nächsten Kamerastandortbestimmungen heraussuchte, sah nur flüchtig auf. Erst als er seinen Gehilfen vom Garten her rufen hörte, ließ er seine Arbeit liegen und blickte hinaus.
Taler stand bei einem der Apfelbäume. Er hatte die große Baumschere an ihren langen Griffen gepackt und hielt sie an einen der Äste. Knupp eilte in den Garten, so rasch er konnte.
»Verrückt geworden?!«, schrie er und hinkte auf ihn zu.
»Stehenbleiben, oder ich schneide!« Er setzte die Schere an.
Der Alte stoppte.
»Ich werde diesen Ast jetzt kappen.« Talers Stimme war ganz ruhig.
»Tun Sie das nicht.« Auch Knupp hatte sich wieder im Griff. »Sie setzen alles aufs Spiel.«
Taler machte keine Anstalten, die Baumschere zu senken.
»Seien Sie doch vernünftig.«
Taler zeigte keine Reaktion.
»Es ist ja auch Ihre Arbeit, die Sie zunichtemachen.«
Keine Reaktion.
»Und auch Ihre Hoffnung.«
Endlich sprach Peter Taler: »Erzählen Sie mir alles über den Mopedfahrer.«
»Das habe ich doch schon.« Knupps Stimme klang etwas weinerlich. »Er ging rein und kam wieder raus und fuhr weg.«
»Und wie lange blieb er?«
»Das weiß ich doch nicht mehr.«
»Aber ich. Er blieb ein paar Stunden. Man sieht es an den Schatten.«
Knupp sagte nichts.
»Sie übergeben mir jetzt das ganze Material zu dem Mopedfahrer. Ich will alles aufs Mal. Jetzt!«
Knupp zögerte.
»Jetzt.« Taler bewegte die Baumschere ein wenig. Der Ast bewegte sich.
»Ich muss es zusammensuchen.«
»Quatsch. Das haben Sie längst getan.«
Noch immer stand Knupp unentschlossen im Gras.
»Eins – zwei – drei…«
Da setzte sich der alte Mann in Bewegung. Er verschwand im Hauseingang.
Taler wartete. Auf einmal kam er sich lächerlich vor mit der theatralisch
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