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Die Zeit, die Zeit (German Edition)

Die Zeit, die Zeit (German Edition)

Titel: Die Zeit, die Zeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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erhobenen Baumschere unter dem Apfelbaum. Er ließ sie sinken und ging zur Haustür.
    Im Windfang kam ihm Knupp entgegen. Er versuchte zu verbergen, dass er sich beeilt hatte und nun etwas außer Atem war, damit Taler nicht erriet, wo er die Fotos versteckt hatte.
    Knupp hatte einen Umschlag bei sich. Taler streckte die Hand danach aus, aber der Alte warf einen Blick auf die Baumschere und drängte sich an ihm vorbei in den Garten. Erst als er sich versichert hatte, dass der Apfelbaum noch intakt war, überreichte er ihm das Kuvert.
    Taler nahm es ihm ab und ging wortlos in das Vermessungszimmer.
    Der Umschlag enthielt eine transparente Hülle mit den Negativen eines ganzen Films. Taler erkannte rasch, dass es sich um eine einzige Sequenz handelte. Dieselbe, von der er bereits zwei Bilder hatte. Das vom Mopedfahrer von hinten, und das von diesem von vorne. Das erste fehlte am Anfang des Streifens, das zweite am Schluss. Dazwischen lag eine ganze Reihe gleicher Aufnahmen. Jede zeigte den Hauseingang und das Moped.
    Taler scannte den ganzen Film ein. Es gab am Anfang zwei weitere Bilder des Mannes von hinten und eines, das ihn beim Betreten des Hauses zeigte. Keines gab mehr von ihm preis als das, welches Taler schon hatte. Am Schluss des Streifens befand sich ein Abschnitt, der den Mann von vorne zeigte. Aber das Helmvisier war schon zugeklappt, und er war dabei, den Reißverschluss der Army-Jacke hochzuziehen. Von der Schrift auf dem Sweatshirt war überhaupt nichts mehr zu erkennen.
    »Und Sie sind ganz sicher, dass dies das ganze Material über den Mopedfahrer ist?«
    »Ganz sicher.«
    »Und was wissen Sie über ihn?«
    »Nichts.«
    »Weshalb haben Sie ihn denn fotografiert?«
    »Das wissen Sie doch. Im Rahmen meines Experiments. Ich habe fotografiert und fotografiert und fotografiert. Auf diese Weise ist auch das zeitfreie Foto von Laura entstanden.«
    Taler sah noch einmal die ganze Serie genau durch. Diesmal konzentrierte er sich auf die Fenster der Wohnungen. Nichts zu entdecken. Ein ausgestorbenes Mehrfamilienhaus an einem gewöhnlichen Dienstag im Mai.
    Er wollte gerade wieder seine Arbeit von vorhin aufnehmen, als er das Gefühl hatte, in einem der Fenster eine Gestalt zu sehen. Er vergrößerte das Bild bis zum Maximum. Es war ein Schattenriss. Eine Kontur. Eine festgehaltene Bewegung. Nichts Definierbares. Aber ein Hinweis, dass in jener Wohnung jemand zu Hause gewesen war.
    Es war seine Wohnung.

14
     
    Nicht zum ersten Mal in seinem Leben empfand er Ei fersucht. Und auch beim letzten Mal war Laura der Anlass dafür gewesen. Es lag neun Jahre zurück und hatte sich am Anfang ihrer Beziehung ereignet.
    Peter hatte Laura bei einer After-Work-Party kennengelernt. Das war damals neu, ein Arbeitskollege hatte ihn überredet, ihn zu begleiten. Die Gäste kamen direkt von ihrer Arbeit in Banken, Werbeagenturen, Anwaltskanzleien oder Versicherungen, tranken, schwatzten, tanzten oder bandelten auf andere Art an. Peter hatte sich nicht wohl gefühlt und war schon entschlossen zu gehen, als ihn Laura ansprach. »Ziemlich spießig«, stellte sie fest.
    Er war überrascht gewesen. Darüber, dass eine so hübsche Frau ihn ansprach, und darüber, dass man den Anlass spießig finden konnte. Er fand ihn eher etwas versnobt und elitär und fühlte sich deswegen fehl am Platz. Mit spießig konnte er umgehen, er war es selbst ein wenig. »Wieso spießig?«, wollte er wissen.
    »After-Work-Partys wurden für Spießer erfunden: Man kann Party machen und kommt trotzdem früh genug ins Bett, um am nächsten Tag ausgeschlafen und rechtzeitig im Büro zu sein.«
    Taler lud sie zu einem Drink ein, und sie amüsierten sich damit, über den Anlass zu lästern. Wie die anderen Gäste auch.
    Als sie gegen acht den Club verließen, war es wieder Laura, die die Initiative ergriff. »Wollen wir was essen?«, fragte sie. Sie gingen in eine Spaghetteria in der Nähe.
    Beim Dessert sagte sie: »Das ist unsere zweite Verabredung.«
    »Wieso?«
    »Die erste war, als du mich zu einem Drink eingeladen hast. Die zweite ist jetzt, diese Einladung zum Abendessen.«
    Taler zuckte mit den Schultern. »Wenn du Wert darauf legst.«
    »Sehr sogar. Ich gehe nie bei der ersten Verabredung mit jemandem ins Bett.«
    Von da an trafen sie sich fast jeden Tag, mal bei ihr, mal bei ihm. Bis er merkte, dass es noch einen anderen gab. Einen, für den sie kurzfristig Verabredungen absagte oder an gewissen Wochenenden auf Abruf zur Verfügung stand.
    Zuerst war es

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