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Die Zeit ist nahe: Kommissar Kilians dritter Fall

Die Zeit ist nahe: Kommissar Kilians dritter Fall

Titel: Die Zeit ist nahe: Kommissar Kilians dritter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman Rausch
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Zyklus, der durch die Harmonie der Linienführung und der Farbe besticht. Die bekannteste und vielleicht eindrucksvollste Darstellung ist die der Erschaffung des Menschen, wie der Funke der Schöpfung von Gott auf den Adam übergeht. Nur ein Paneel weiter kniet die soeben erschaffene Eva vor ihrem Schöpfer, um kurz darauf mit ihrem Ehemann aus dem Paradies vertrieben zu werden. Ob der Ursprung allen Übels wirklich im Weibe liegt, ist ungeklärt. Jedenfalls endet Michelangelos Deckenwerk mit der Sintflut und der Trunkenheit des Noah.
    Man erzählt sich, dass Michelangelo derart in seine Arbeit verbissen war, dass er morgens das Gerüst mit Essen und dem Nachttopf bestieg und es nicht eher verließ, bis er dort oben eingeschlafen war. Trotz allem soll ihn der Papst zur Eile angetrieben und mit dem Sturz vom Gerüst gedroht haben, wenn er nicht bald enden würde. Selbst nach der Fertigstellung des Freskos im Jahre 1511 soll Michelangelo nicht in Ruhe ein Bild oder ein Buch angeschaut haben, ohne den Kopf nach hinten zu verdrehen.
    Die Wahlzettel waren ausgezählt. Gespannt warteten die Kardinäle auf die Bekanntgabe des Ergebnisses.
    »Abgegebene Stimmen 135. Keine Enthaltungen, keine ungültigen Stimmen. Zur Wahl eines neuen Papstes sind zwei Drittel der Stimmen plus einer erforderlich; das sind 91 … Auf Kardinal Rodriguez entfallen 43 Stimmen.«
    Ein Raunen ging durch die Reihen um Kardinal Veroni und die wenigen Südamerikaner, die Rodriguez unterstützten. Sie hatten rund 20 Stimmen verloren. Die Fraktion um Benedetti und Armbruster jedoch strahlte vor Siegesgewissheit. Benedetti bebte innerlich vor Genugtuung. In wenigen Augenblicken würde sein Name fallen, der in Verbindung mit einer Zahl über 91 bis zu seinem Lebensende mit »Ihre Heiligkeit« verschmelzen würde. Er hatte es geschafft. Armbruster nickte ihm anerkennend zu.
    »Auf Kardinal Benedetti entfallen 89 Stimmen.«
    Benedetti erstarrte innerlich zur Salzsäule. Sein linkes Auge meldete sich mit unkontrollierbarem Zucken zurück.
    »Nur noch drei Stimmen erhält Kardinal Armbruster.«
    Jetzt spürte Benedetti den Dolch, der ihm von hinten in den Rücken getrieben worden war. Er drehte sich um, um seinem Mörder in die Augen zu schauen.
    Armbruster schaute ihn ahnungslos an.
    Der Schuppen hatte vier Sterne und eine »Terrazza Paradiso« im siebten Stock. Dort oben hatte Heinlein einen unverstellten Blick über die Stadt. Zur Rechten thronte die Kuppel von San Pietro und zur Linken stach der Engel auf der gleichnamigen Burg in den Himmel. Beides zum Greifen nahe. Das Les Etoiles in der Via Giovanni Vitelleschi verströmte den gelassenen Hauch eines dicken Bankkontos und war Heinleins erste Wahl auf der Suche nach Kilian.
    »Si?«, fragte der Ober beflissen.
    Erneut Gelegenheit für Heinlein, seine neu erworbenen Italienischkenntnisse umzusetzen. »Una birra alla spina, per favore.«
    »Big or small?«
    »Un mezzo litro.«
    »German, Dutch, American …«
    »Forse una italiana? Ma sopra tutto fredda.«
    »On the rocks?«
    »No, solo fredda.«
    »As you like.«
    Der Ober verließ ihn und gab die Instruktionen an den Barmann. Ein paar Tische weiter hatte der zweite Ober eine verdächtig hellhäutige Familie in Arbeit. Anstatt unter einem ausladenden Wedel der zahlreichen Palmen Schutz zu suchen, setzten sie sich übermütig der brennenden Sonne aus. Heinlein beobachtete sie aufmerksam, wiesen sie doch manche ihm vertraute Ähnlichkeit auf. Die Familie, allem Anschein nach Engländer, Mutter, Vater, zwei halbwüchsige Jungs, waren durch die Bank mit kräftigen Gläsern bebrillt. Bis auf die Mutter wetteiferten ihre Zungen mit der Sonne, wer schneller das Eis in ihren Händen zum Schmelzen brachte. Heinlein verfolgte die Szene mitleidig. Ebenso erging es der Mutter, die sich nach seinem Dafürhalten am liebsten in Luft aufgelöst hätte, spürte sie doch die Geringschätzung des Kellners vor ihr. Während sich ihre Männer mit dem Eis begnügten, bestellte sie tapfer, und vor allem auf Italienisch, einen Caffè latte. Heinlein schenkte ihr ein Lächeln; sie nahm es gern an.
    »Beer, half liter, cold«, sagte der Ober und stellte das Glas auf den Tisch. Den Bon über zehn Euro steckte er unter den Aschenbecher.
    Vor Heinlein stand ein Krug, weiß, von Eis überzogen, darunter ein verdächtiges Emblem blass durchschimmernd.
    Er sorgte mit dem Daumen für klare Sicht.
    »Hacker-Pschorr, Himmel der Bayern. Das reicht.«
    Er legte einen Zehner auf den Tisch.

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