Die Zeit ist nahe: Kommissar Kilians dritter Fall
Fälschungen«, zweifelte Mala.
»Weil vor einigen Jahren ein anderes Schriftstück ans Tageslicht gekommen ist, das genau auf diese Herrenworte abzielt und deren Echtheit belegen soll. Diese Quelle ist über jeden Zweifel erhaben«, antwortete Armbruster. »König Oswins Aufzeichnungen des Disputs von Whitby.«
Malas Wissensdurst war noch nicht gestillt. »Und wo sind sie?«
»Rechtzeitig in Sicherheit gebracht«, antwortete Benedetti mit einem siegreichen Lächeln auf den Lippen. Es galt Armbruster.
Der hatte Mühe, seinen Zorn zu beherrschen. »Einmal bist du mir zuvorgekommen. Bei der Seele meines verstorbenen Vaters, ich verspreche dir, dass sich das niemals mehr wiederholen wird.«
»Wir werden sehen.«
»Was ist aus dem Papyrus geworden?«, fragte Mala.
»Er verschwand«, antwortete Benedetti. »Es wird vermutet, dass es in Whitby zu einer heftigen Auseinandersetzung gekommen ist und dass im Tumult Zylinder und Papyrus herausgeschmuggelt worden sind. Ein junger Priester in Begleitung des Colman soll es gewesen sein. Vielleicht war es der heilige Kilian.«
Benedetti widersprach. »Das ist durch nichts belegt.«
»Richtig«, antwortete Armbruster. »Aber ich wette, die Brüder in Tallaght haben die Antwort.«
VI.
Der Mensch ist eine Ameise. Sozial und gefräßig. Wenn erforderlich, auch gnadenlos mörderisch.
Was ich mir da in aller Herrgottsfrühe anschaute, war eine Wiederholung vom Vortag, in der sich der Würzburger Soziobiologe Hölldobler über die genetische Programmierung von Ameisen erging, aus der wir Rückschlüsse auf unsere eigene Veranlagung ziehen könnten.
Die gute Nachricht lautete, dass sich das Ameisenindividuum der Gemeinschaft selbstlos unterordnet. Das sei reiner Altruismus, basierend auf dem lateinischen alter, der/die/das andere, wie ich lernte. Zu Deutsch: Uneigennützigkeit. Demzufolge bringe es der einzelnen Ameise mehr, wenn sie nahen Nestgenossen hilft, anstatt sich um den eigenen Nachwuchs zu kümmern. Dies entspreche dem christlichen Prinzip der Nächstenliebe.
Die schlechte war: Kommt ein anderes Individuum nicht aus der nahen Verwandtschaft, wird es hemmungslos abgeschlachtet.
Was wäre nun, fragte der Moderator, wenn dieselbe Programmierung auch beim Menschen anzutreffen wäre? Religionen zum Beispiel stünden dann nicht mehr alleine als Frucht menschlich geschaffener ethischer Konzepte da, sondern hätten eine biologische Wurzel, für die der Verstand nichts kann. Nach dieser These wäre somit auch das Gegenteil des Guten, nämlich das Böse, uns in die Wiege gelegt. Ein einziges heimtückisches Gen reichte aus, und schon gehörte man dem Teufel oder dem Beichtvater.
»Sollte es wirklich so sein«, fragte der Moderator, »dass Gut und Böse genetisch angelegte Eigenschaften sind und ethische Systeme bloß intuitive Autokorrektursysteme zur Eindämmung des Bösen im Menschen? Und Religionen lediglich Konzepte, aufgebaut auf einer biologischen Veranlagung?«
Für einen Funktionär der Kirche ein schwer zu ertragender Gedanke, und Kardinal Lackmann trat ins Bild. Er widersprach, da er nicht glauben könne, »den eigentlichen uneigennützigen Ethos in seiner ganzen Breite davon ableiten zu dürfen. Das wäre ein schwer erträglicher Biologismus.«
Das reichte mir, und ich schaltete ab. Es war höchste Zeit. Pia würde mit der Obduktion nicht auf mich warten. Nicht mehr.
Trotzdem, die Idee hatte was. Wenn die Ergründung des menschlichen Genoms weiterhin so zügig voranging, würden wir bald anhand von Gentests wissen, wer der Finsternis und wer dem ewigen Lichte zugetan war. Und das vorgeburtlich. Kein Wunder, dass die Kirche die Gentechnologie verdammte. Das wäre ihr definitives Aus.
Yasmina erwartete mich bereits unten auf der Straße.
»So früh schon auf den Beinen?«, fragte ich und ging voran.
»Wir waren verabredet. Schon vergessen?«
»Stimmt, habe ich vergessen.«
»Wohin gehen wir?«
»Ins Schlachthaus.«
»Wohin?«
»Wir wollen herausfinden, was uns ein Toter verraten kann.«
»Und was soll das bringen? Wir wissen, wodurch Pater Nikola gestorben ist. Das ist reine Zeitverschwendung.«
Ich blieb stehen, damit sie aufschließen konnte. »Hören Sie. Wir haben zwar eine Übereinkunft zur Zusammenarbeit getroffen, aber die Richtung bestimme immer noch ich. Zuerst müssen wir alle Fakten beisammenhaben, damit wir auf einen Täter oder ein Motiv schließen können. Das ist ganz normale Routinearbeit für einen Ermittler.«
Ich ging weiter, ohne
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