Die Zeit ist nahe: Kommissar Kilians dritter Fall
hatte er sich wenige Tage zuvor im Fernsehen gegen die Großgrundbesitzer, die Lobbyisten multinationaler Unternehmen, gegen die allmächtige Korruption und gegen die regierenden Parteien in Szene gesetzt und eine nie da gewesene Einschaltquote im südund mittelamerikanischen Raum erreicht. Jeder, der an den vorherrschenden Besitzständen und Machtverhältnissen interessiert war, musste Esperanza als Generalinquisitor fürchten. Die anderen jedoch sahen in diesem kleinen Mann aus dem Urwald Brasiliens die Reinkarnation Jesu, von dem sie die Erlösung aus ihren miserablen Lebensumständen erhofften.
Für den kommenden Tag hatte Esperanza eine Ansprache an die Gläubigen aus aller Welt auf dem Petersplatz geplant. Sollte diese ähnlich verlaufen wie die im Fernsehen, würde seiner Wahl zum Papst nichts mehr entgegenstehen. Das wusste auch Kardinal Armbruster, der, zivil und schlicht gekleidet, im hinteren Teil des Kirchenschiffes die Messe verfolgte. Er wirkte gelassen, nahezu in freudiger Erwartung, und blickte sich im weiten Rund nach Kollegen seines Standes um. Kardinal Benedetti neben ihm, italienisch chic im standesgemäßen schwarzen Anzug, verkörperte das genaue Gegenteil. Nur mühsam konnte er seine Gefühle unterdrücken.
»Wenn dieser Indio morgen spricht, ist es aus«, flüsterte er an Armbrusters Ohr. »Ich verstehe nicht, dass dich das überhaupt nicht zu berühren scheint.«
»Du hast Recht. Tut es nicht«, antwortete Armbruster.
»Sollte es aber, verdammt«, zischte Benedetti. Sein Augenzucken verriet seinen inneren Aufruhr.
»Sei still«, befahl Armbruster.
»Du bist mir immer noch die Antwort schuldig. Ich will jetzt endlich wissen, was du gegen Esperanza zu unternehmen gedenkst.«
»Wart’s doch ab. Oder habe ich dich jemals enttäuscht?«
»Irgendwann ist immer das erste Mal.«
Armbruster schmunzelte selbstgefällig und ließ seine Daumen in den verschränkten Händen kreisen. Sein Blick suchte erneut unter den Versammelten nach bekannten Gesichtern. Und er fand sie. Unter einer Apostelstatue erkannte er die Kardinäle Veroni, Makeluma und Jackson. Auch sie waren in Zivil, und offensichtlich trieb sie ebenfalls die Neugier hierher, um Esperanza nach seinem grandiosen Fernsehauftritt live zu erleben.
»Da drüben stehen Armbruster und Benedetti«, sagte Jackson leise zu seinen Kollegen.
»Schon längst gesehen«, antwortete Makeluma.
»Ich frage mich, was die beiden hierher treibt«, sagte Veroni.
»Wahrscheinlich sind sie aus demselben Grund hier wie wir«, antwortete Jackson.
»Ich sehe Mala nicht«, sagte Veroni. »Wo ist diese Natter nur geblieben? Es ist doch sonst nicht seine Art.«
»Da vorne ist er«, unterbrach Makeluma.
Kardinal Mala Dingkor hatte einen bühnenreifen Auftritt. Im festlichen Ornat trat er in den Kreis der Bischöfe und Priester zu Esperanza, der ihn mit einem stillen Lächeln begrüßte. Ein verhaltenes Raunen ging durch die Menge.
»Was zum Teufel macht Mala da oben?«, staunte Benedetti.
»Ein Treffen der Dritten Welt«, antwortete Armbruster, nicht sonderlich überrascht. »Drei Viertel der katholischen Weltbevölkerung üben sich in brüderlicher Eintracht. Oder anders ausgedrückt: Die Hungerleider aus dem Westen treffen die Habenichtse aus dem Osten.«
»Hast du davon gewusst?«
Armbruster antwortete nicht, er lächelte nur.
»Sag schon.«
»Mala glaubte, die Sache hinter unseren Rücken durchziehen zu können, um sich einen Vorteil zu verschaffen. ›Die sozialistisch-katholische Weltrevolution‹, ha, dass ich nicht lache.«
Benedettis Augenzucken war nicht mehr zu stoppen.
»Hat ja wohl geklappt, oder?«
Armbruster reagierte kühl. »Es klappt alles, so wie ich es geplant habe. Mala hat sich vorgedrängelt. Jetzt steht er am Abgrund, ohne dass ich ihn selbst dorthin bugsieren musste.«
»Was hast du vor?«, fragte Benedetti.
»Mala und Esperanza sind erledigt. Sie wissen es nur noch nicht.«
Veroni machte sich ernsthaft Gedanken. »Wenn ich nur wüsste, was hier gespielt wird.«
»Jetzt mach dir keinen Kopf«, beruhigte ihn Jackson.
»Wir sind alle aus demselben Grund hier.«
»In diesem Fall muss ich ihm Recht geben«, pflichtete Makeluma bei. »Die halbe Welt schaut auf den Lateran.«
»Ja, ich weiß«, sagte Veroni. »Aber Armbruster und Benedetti … Das ist gar nicht ihre Art, jemanden durch ihre Anwesenheit aufzuwerten. Es sei denn …«
Armbruster nahm Benedetti am Arm. »Jetzt passiert’s. Schau.« Kardinal Esperanza ging
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