Die Zeit ist nahe: Kommissar Kilians dritter Fall
war dieser Priester?«
»Ein brasilianischer Bruder. Er war eine sehr große Enttäuschung für uns. Sein Name war Alvarez.«
Alvarez! Was zum Teufel hatte dieser verlauste Bruder im Gewand eines Heiligen mit der Sache zu tun? Mayfarth war noch bis vor ein paar Minuten mein Mann gewesen, und jetzt kam Alvarez ins Spiel, der als Handlanger für den Vatikan agiert haben sollte.
Ich musste meinen inneren Aufruhr wieder unter Kontrolle bringen und mich von lieb gewonnenen Denkmustern befreien, selbst auf die Gefahr hin, dass ich mich in Mayfarth getäuscht hatte. Aber das konnte nicht sein. Er war es, der in jener Nacht bei Nikola gewesen war, und nicht Alvarez. Zudem fragte ich mich, ob ich diesem Father Quinn überhaupt trauen konnte. Vielleicht erzählte er mir da im Auftrag Mayfarths eine abstruse Lügengeschichte, um mich von seiner Spur abzubringen.
»Zurück zu Mayfarth«, sagte ich, »was hat ihn so überstürzt hierher nach Mullagh gebracht und wo steckt er jetzt?«
»Die Brüder im Kloster Tallaght, die für die sichere Aufbewahrung der Schrift des Chamar verantwortlich sind, haben mich über die Ankunft eines Mannes informiert, der im Auftrag eines Kardinals angereist war. Er sei mit allen Befugnissen ausgestattet, und die Brüder sollten die Archive öffnen. Doch schlau, wie sie sind, hatten sie lange vorher die Schrift hierher ausgelagert. Aber schweigen kann niemand auf Dauer und schon gar nicht auf die Gefahr hin, in Rom in Ungnade zu fallen. Daher rief ich Mayfarth herbei, um sie in Sicherheit zu bringen. Er sagte mir nicht, wohin er sie bringen würde, denn auch ich würde Besuch bekommen.«
Mayfarth sollte also der Retter der Christenheit sein. Sein Job war es, gefährliches Gedankengut vor wem auch immer in Schutz zu bringen. Notfalls nahm er dafür wohl auch einen Mord in Kauf. Doch in wessen Auftrag handelte er? Ich wurde nicht so richtig schlau aus dieser Geschichte. Denn auch Alvarez war nun in sie verstrickt. Mit ihm war der Bischof nach Rom
abgereist. Steckten sie unter einer Decke, machten sie gemeinsamen Plan gegen rivalisierende Kardinäle oder operierten sie gar auf eigene Rechnung?
Und wie passte Yasmina da ins Bild? Offiziell arbeitete sie für den Vatikan. Folglich musste auch sie bestimmte Interessen verfolgen. Und sie hatte es verdammt eilig, Erfolg zu haben. Kein Wunder. Die Papstwahl stand bevor.
»Noch eine Frage, Father Quinn. Sagt Ihnen der Name Yasmina della Schiava etwas?«
Er überlegte eine Zeit lang. »Gehört habe ich den Namen schon. Nur, in welchem Zusammenhang?«
*
DIE ÄHREN STANDEN HOCH IM JULI DES 689. JAHRES NACH DER FLEISCHWERDUNG DES HERRN. ALLE BRÜDER UND SCHWESTERN AUS MEINER GEMEINDE ERNTETEN DAS KORN IN DEN FRUCHTBAREN MAINAUEN, WÄHREND DIE HUFE DER PFERDE UND DAS SCHEPPERN DER SCHILDE UND LANZENN VON DER VIRTEBURCH HERUNTERDRANGEN. DER HERZOG RITT WIEDER GEGEN DIE WENDEN, SEINE KNECHTE WILDERTEN DERWEIL IN DEN HÜTTEN UND AUF DEN FELDERN NACH NEUEM GEFOLGE. KEIN KNABE WAR IHNEN ZU JUNG, UM EIN SCHWERT ZU HALTEN, KEIN PFERD ZU KOSTBAR, DAS NICHT DEN PFLUG GEGEN EINEN REITER EINZUTAUSCHEN HATTE, DAS GESCHREI DER MÜTTER ZERRISS MIR DAS HERZ.
»GEH NICHT, SIE WERDEN DICH TÖTEN«, SPRACH CHAMAR. »WENN NICHT DIE KNECHTE, DANN DER HERZOG.«
»ACHTE NICHT AUF MICH, CHAMAR, BEVOR DU DICH VERSIEHST, WIRST DU ALS ERSTER DEN SCHILD DER HERZOGS TRAGEN, VERSTECKE DICH, SCHNELL.«
»ICH BIN KEIN FEIGLING, CILLINE, ICH KOMME MIT. MEINE AXT WIRD SIE LEHREN, WER ICH BIN.«
DIE KNECHTE DES HERZOGS HATTEN DIE JUNGEN UM DEN BRUNNEN ZUSAMMENGETRIEBEN. DER KOMMANDANT BEFAHL DEN MARSCH HINAUF ZUR FESTE, VÄTER HIELTEN IHRE WEHKLAGENDEN FRAUEN ZURÜCK.
»HALTET EIN!«, SPRACH ICH UND VERWEHRTE IHNEN DEN WEG.
DER KOMMANDANT ZÜCKTE DAS SCHWERT. »AUS DEM WEG, BEVOR ICH DICH IN ZWEIEN HAUE.«
»WER BEFIEHLT DIR, DASS DU ES WAGST, DAS SCHWERT GEGEN EINEN DIENER DES HERRN ZU ERHEBEN?«
»DES HERRN?! ES GIBT NUR EINEN, DER BEFIEHLT. SEIN NAME IST THEOTBALD, DER HERZOG. UND JETZT AUS DEM WEG!«
»DU IRRST, DER HERZOG IST NICHT MEIN HERR UND AUCH NICHT DER DEINE, SO LEG DEIN SCHWERT NIEDER UND GIEB DIE JUNGEN FREI.«
»DU HUND!«, SCHRIE ER MICH AN, DEN ARM BEREIT, DER DIE WAFFE GEGEN MICH FÜHRTE. »DU SOLLST WISSEN, WAS ES HEISST, SICH GEGEN DEN HERZOG ZU STELLEN.«
UNSELIGER CHAMAR, HATTE ICH DIR NICHT BEFOHLEN, DICH ZU VERSTECKEN?
SEINE AXT SCHWIRRTE DURCH DIE LUFT UND FAND DEN KOMMANDANTEN. DIE KNECHTE ERHOBEN IHRE LANZEN UND JAGTEN IHN. ER FLÜCHTETE IN DIE
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