Die Zeit ist nahe: Kommissar Kilians dritter Fall
weiterhin zu beschwichtigen, drängte er Alvarez zurück. Nun erkannte auch Alvarez den Kardinal. Seine Augen funkelten böse, als käme ihm sein größter Feind entgegen.
»Wir werden das Problem sofort lösen«, entschuldigte sich einer der Gardisten bei Benedetti. Sie packten den Mönch am Arm und zerrten ihn weg.
»Wartet!«, befahl Benedetti.
Er wandte sich nun Alvarez zu. »Alvarez! Was in aller Welt hast du hier zu suchen?«
»Entschuldigen Sie, Eure Eminenz«, sagte der Bischof.
»Ich konnte ihn gerade noch aufhalten, bevor …«
»Ihr Pharisäer und Geldwechsler«, zischte Alvarez, »habt euch wieder zusammengefunden, um die Kleider des Gekreuzigten unter euch aufzuteilen und um den nächsten eurer Könige zu krönen, hier vor eurem lasterhaften Tempel, erbaut mit dem Blut der Armen, den Steuern von Huren und erkauften Ablässen.«
»Alvarez!«, unterbrach Benedetti ihn scharf. »Hör auf mit diesem Gewäsch. Ich will wissen, wieso du hier bist.«
»Das wahre Wort unseres Herrn will ich predigen. Diesem falschen Propheten dort oben werde ich vor aller Welt die Maske vom Gesicht reißen.«
Benedetti blickte zurück. Er sah Armbruster im Kreise der Kinder und des Lammes zu seinen Füßen. Seine Worte schallten über den Petersplatz. Sie fanden Gehör und Begeisterung.
Wieso nicht, überlegte Benedetti. Sollte Armbruster selbst sehen, wie er sich aus dieser Situation befreien konnte. Das wäre die passende Quittung für seinen Verrat. Er befahl den Tonmeister zu sich. »Hast du noch eines dieser ansteckbaren Mikrophone?«
Der Mann bejahte.
»Dann steck es ihm an und leg ihn auf die Lautsprecher.« Der Mann tat, wie ihm befohlen.
Alvarez stutzte ob der unerwarteten Hilfe seines Erzfeindes.
»Willst du mich wieder betrügen, wie damals mit dem Papyrus?«
»Nein«, antwortete Benedetti. »Geh jetzt und tu, weswegen du gekommen bist.« Den beiden Wachen befahl er, ihn zu geleiten.
Alvarez setzte seinen Wanderstab voran und näherte sich Schritt für Schritt dem Rednerpult. Benedetti verschränkte die Arme und grinste in freudiger Erwartung.
»Warum tun Sie das?«, fragte der Bischof. »Ich dachte, Sie und Alvarez …«
»Das ist lange her. Schnee von gestern. Heute geht es um weit mehr als um ein vergilbtes Stück Papier aus der Vergangenheit. Es wird Zeit, dass diesem Größenwahnsinnigen dort oben endlich Einhalt geboten wird.«
Armbruster sah das Unheil in Form eines Bettelmönches auf sich zukommen. »… und darum lasst uns nach vorne schauen, Brüder und Schwestern. Die Zeit ist gekommen, um den Sieg der Frohen Botschaft unseres Herrn Jesus Christus über den Tod zu feiern. ›Folget mir nach, und ihr werdet den Tod nicht schmecken.‹«
Noch bevor der Beifall einsetzte, durchschnitt Alvarez’ Anklage Armbrusters Botschaft. »Ecce crux Domini, fugite partes adversae!« 14
Seine Stimme legte sich wie ein betäubendes Gewitter über den Petersplatz. Er streckte seinen Wanderstab drohend in die Höhe. Die Menge erschrak, die Kameras suchten das neue Ziel, die Kardinäle fuhren herum. »Alvarez!«, raunte es durch die Reihen.
Auch Armbruster erkannte ihn jetzt. Er suchte nach dem Kommandanten der Schweizergarde. Dieser wirkte unsicher, ob er eingreifen sollte, da der Störenfried ja von zweien seiner Männer begleitet wurde. Armbruster musste selbst handeln. Er wählte den Angriff.
»Bruder Alvarez«, sprach er versöhnlich ins Mikrophon, »ein verdienter Bruder unserer heiligen Kirche. Kommt zu mir herauf, um gemeinsam das Wort des Herrn an die Welt zu sprechen.«
Doch Alvarez blieb, wo er war. »Hütet euch vor den falschen Propheten; sie kommen zu euch in Schafspelzen, in Wirklichkeit aber sind sie reißende Wölfe. Nicht jeder, der mich Herr ruft, wird in das Himmelreich kommen, sondern nur, wer den Willen meines Vaters erfüllt.«
»Aber Bruder Alvarez«, ging Armbruster dazwischen, »in seinem Namen spreche ich, und seinem Willen folge ich.«
»Viele werden an jenem Tage, dem letzten aller, zu ihm sagen: Herr, sind wir nicht in deinem Namen als Propheten aufgetreten? Und haben wir nicht mit deinem Namen Wunder vollbracht? Dann wird er, der Herr, euch antworten: Hinweg, ich kenne euch nicht. Denn ihr seid Übertreter des Gesetzes.«
»Das Gesetz. Ich kenne es und befolge es«, verteidigte sich Armbruster.
»Du Narr! ›Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und all deinen Gedanken. Genauso liebe deinen Nächsten wie dich selbst.‹ Das ist
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