Die Zeit-Odyssee
Abgesandte zurück.
Von den tausend Mann, die weggeritten waren, kam nur ein
Dutzend wieder. Korporal Batson lebte zwar, doch die Mongolen
hatten ihm Nase und Ohren abgeschnitten. Und in einem Beutel an
seinem Sattel steckte der Kopf des Ptolemäus.
Als sie dies alles hörte, erschauerte Bisesa, sowohl
wegen der Aussicht auf einen unmittelbar bevorstehenden Krieg als
auch wegen des Verlustes eines weiteren Fadens aus der sich
auftrennenden Textur der Menschheitsgeschichte. Und die Nachricht
über Batson, diesen so überaus kompetenten Soldaten,
brach ihr das Herz. Sie hörte, dass Alexander einzig den
Verlust seines Freundes betrauerte.
Am nächsten Tag meldeten die mazedonischen Späher
eine starke Aktivität im Lager der Mongolen. Der Angriff, so
schien es, war nahe.
An diesem Nachmittag traf Josh im Tempel des Marduk auf
Bisesa. Sie saß mit dem Rücken an eine von Feuer
geschwärzte Wand gelehnt auf dem Boden, eine britische
Militärdecke gegen die fühlbar zunehmende Kälte
über die Beine gebreitet, und starrte hinauf zu dem Auge,
das mittlerweile allgemein das »Auge des Marduk«
genannt wurde – obwohl einige Tommies es »Auge des
Barras« getauft hatten. Bisesa hatte es sich zur Gewohnheit
gemacht, jeden freien Augenblick hier zu verbringen.
Josh ließ sich neben ihr nieder, die Arme fest um seinen
mageren Torso geschlungen. »Sie sollten sich doch
eigentlich ausruhen!«
»Ich ruhe mich aus. Und beobachte.«
»Sie beobachten die Beobachter?«
Sie lächelte. »Irgendjemand muss es ja tun. Ich
will nicht, dass sie denken…«
»Was?«
»Dass wir nichts wissen. Über sie und
über das, was sie uns angetan haben. Uns und unserer
Geschichte. Ich glaube, es steckt eine gewaltige Kraft dahinter.
Das muss es wohl, um in der Lage zu sein, dieses Auge und seine
Geschwister über den ganzen Planeten verstreut zu
erschaffen. Um zwanzig Tonnen Gold in eine Pfütze zu
verwandeln… Ich möchte nicht, dass Sable oder
Dschingis Khan hier hereinkommen und dieses Gold in die
Hände bekommen. Und falls alles schief geht, wenn die
Mongolen kommen, dann werde ich in dieser Tür stehen, die
Pistole in der Hand.«
»O Bisesa, Sie sind so stark! Ich wünschte, ich
wäre wie Sie!«
»Nein, nicht wirklich.« Er hielt ihre Hand –
sehr fest –, aber sie versuchte nicht, sie wegzuziehen.
Stattdessen tastete sie mit der anderen Hand unter der Decke
herum und holte eine Metallflasche hervor. »Hier. Nehmen
Sie einen Schluck Tee.«
Er schraubte die Flasche auf und kostete. »Schmeckt gut!
Nur die Milch ist etwas… hmmm… sie schmeckt
irgendwie nicht ganz richtig!«
»Die stammt aus meiner Überlebensausrüstung.
Bestrahlte Kondensmilch. In der amerikanischen Armee geben sie
einem für den Ernstfall Selbstmordpillen mit, um sie mit
britischem Tee hinunterzuspülen. Ich habe ihn für eine
besondere Gelegenheit aufgespart. Welche wäre wohl besser
geeignet als diese?«
Er trank den Tee in kleinen Schlückchen und schien ganz
in sich gekehrt.
Bisesa fragte sich, ob sich der Schock der Diskontinuität
zu guter Letzt auch bis zu Josh herangearbeitet hatte;
schließlich war es ein Schock, unter dessen Wirkung sie
vermutlich alle standen, nur eben auf unterschiedliche Weise.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte sie ihn.
»Ich denke nur an zu Hause.«
Bisesa nickte. »Keiner von uns redet viel über
daheim, wie?«
»Vielleicht schmerzt es zu sehr.«
»Erzählen Sie mir trotzdem davon, Josh.
Erzählen Sie mir über Ihre Familie.«
»Als Journalist mache ich das Gleiche wie mein Vater. Er
berichtete nämlich über den Krieg zwischen den Nord-
und Südstaaten in Amerika.« Und das war,
überlegte Bisesa kurz, für Josh erst zwanzig Jahre her.
»Er bekam eine Kugel in die Hüfte ab, und die Wunde
infizierte sich danach. Es dauerte zwei Jahre, bis er
schließlich daran starb. Da war ich erst sieben.«
Josh flüsterte weiter: »Ich fragte ihn, warum er
Reporter geworden war statt selbst zu kämpfen, und er sagte,
dass es immer jemanden geben muss, der beobachtet, um anderen
davon zu berichten. Sonst wäre es, als hätte es sich
überhaupt nie zugetragen. Nun, ich glaubte ihm und trat in
seine Fußstapfen. Gelegentlich ärgerte mich der
Umstand, dass in gewisser Weise mein Leben schon fixiert war,
noch ehe ich das Licht der Welt erblickt hatte. Aber ich denke,
das ist nicht gar so ungewöhnlich.«
»Da brauchen Sie nur Alexander zu fragen.«
»Allerdings… Meine
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