Die Zeit-Odyssee
übrig war,
um die Daten zu sammeln, zu bearbeiten und auf dem Bildschirm
darzustellen.
Die sturmgepeitschten Bilder einer völlig
veränderten Welt, die sie aus der Sojus erhielten, waren
bestürzend, aber sie zogen jeden, der sie betrachtete und
studierte, auf seine Weise in ihren Bann. Bisesa vermutete, dass
die Bilder, so beunruhigend sie auch wirkten, sowohl in Casey als
auch in Abdikadir das tröstliche Gefühl weckten,
näher der Heimat zu sein, wo sie daran gewöhnt waren,
jederzeit Bilder wie diese abrufen zu können. Aber bald
würde die Sojus vom Himmel fallen, und dann würde sich
ihr einziges Auge da oben schließen.
Was die Männer des Jahres 1885 betraf – Ruddy,
Josh, Hauptmann Grove und den Rest –, so reagierten sie
anfangs nur mit einem sprachlosen Oh und Ah, wenn sie die
elastischen Bildschirme und die dazugehörenden Wunderdinge
erblickten: Während das Wohlbekannte auf Casey und Abdi
angenehm besänftigend wirkte, waren die anderen
aufgewühlt von so viel unvorstellbar Neuem. Doch sobald sie
die Technik als gegeben hinnahmen, waren die Briten hingerissen
von dem Wunder, das ihnen erlaubte, die Erde aus dem Weltall zu
betrachten. Auch wenn die Sojus nur ein paar hundert Kilometer
hoch oben war, führte der erstaunliche Anblick eines
gebogenen Horizontes, von Wolkenbänken, die über
Kontinente hinwegzogen, oder von vertrauten, für jedermann
erkennbaren Formen wie der tränenförmigen Gestalt
Indiens oder der gezackten Fraktallinie der englischen Küste
zu ekstatischer Begeisterung.
»Ich hätte nie gedacht, dass eine solche
Perspektive aus der Sicht Gottes möglich ist«, sagte
Ruddy. »Ach ja, man weiß, wie groß die Welt
ist, man kennt die runden, eindrucksvollen Zahlen. Aber das
Gefühl dafür, da drinnen…« – er
klopfte sich mit dem Daumen gegen die Brust –, »das
hatte ich noch nie. Wie klein und konfus doch die Werke des
Menschen sind! Wie unbedeutend seine Ambitionen und
Leidenschaften! Wie ähnlich wir doch den Ameisen
sind!«
Aber die Leute des neunzehnten Jahrhunderts ließen
dieses Stadium bald hinter sich und lernten, das zu
interpretieren, was sie sahen; selbst steife Militärs wie
Grove überraschten Bisesa durch ihre Flexibilität. Es
dauerte nur zwei Tage, dann legte sich wieder ein wenig
Ernüchterung über das überwältigt
schnatternde Publikum vor Caseys Bildschirm, denn so wundersam
die Bilder und die Technik, die sie ermöglicht hatte, auch
waren – die Welt, die sie zeigten, wirkte zutiefst
ernüchternd.
Bisesa machte Kopien von allem, um sie im einzigen tragbaren
elektronischen Gerät von Bedeutung, das sie besaßen,
zu speichern: in ihrem Telefon. Für lange Zeit würden
diese Bilder alles sein, was sie hatten, um ihnen anzuzeigen, wie
es auf der anderen Seite des Horizontes aussah. Und
außerdem, darin war sie sich mit dem Kosmonauten Kolja
einig, sollte für die Nachwelt dokumentiert werden, woher
sie alle stammten, sonst würden die Menschen das eines Tages
vergessen und meinen, das hier wäre alles, was es je
gegeben hatte.
Aber das Telefon hatte seine eigenen Vorstellungen.
»Zeig mir die Sterne«, sagte es in seiner dünnen
Flüsterstimme.
Also legte Bisesa es jeden Abend auf einen passenden Stein, wo
es wie ein geduldiges metallisches Insekt hockte und durch seine
winzige Kamera zum Himmel starrte. Bisesa stellte zu seinem
Schutz kleine Schutzwände aus wasserfestem Gewebe auf, denn
diese Beobachtungssitzungen konnten Stunden dauern, wenn das
Telefon darauf wartete, einen kurzen Blick zwischen dahinjagenden
Wolkenfetzen auf einen maßgebenden Teil des Himmels werfen
zu können.
Eines Nachts, als Bisesa neben ihrem Telefon saß, kamen
Abdikadir, Josh und Ruddy aus dem Fort, um ihr Gesellschaft zu
leisten. Abdi brachte ein Tablett mit Drinks, frischer Limonade
und Zuckerwasser mit.
Ruddy erfasste recht bald den Sinn des Projektes. Indem es den
Himmel vermaß und die Stellung der Himmelskörper mit
den Sternkarten in seiner Datenbank verglich, konnte das Telefon
das Datum feststellen. »Wie die Astronomen am Hofe zu
Babylon«, erklärte Ruddy.
Josh saß neben Bisesa, die Augen riesengroß in der
Abenddämmerung. Er war nicht das, was man
»gutaussehend« nennen konnte, stellte Bisesa fest; er
hatte ein schmales Gesicht, abstehende Ohren, und wenn er lachte,
verschoben sich seine Wangen nach oben. Sein Kinn war wenig
ausgeprägt, aber seine Lippen waren voll –
merkwürdig
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