Die Zeit-Odyssee
den Flusstälern
üppig und fruchtbar aus. Ein paar hochauflösende
Schnappschüsse waren so scharf, dass man sogar Tiere darauf
erkennen konnte. Bisesa bemerkte etwas, das ein Flusspferd sein
konnte; es weidete im Grünzeug am Rande eines
Waldstücks – und dann, in einer kurzen
Animationssequenz, kam, wie auf der Flucht vor einem
gefährlichen Raubtier, eine Herde großer, aufrecht
laufender Wesen aus dem Wald hervorgesprungen, die Bisesa
für Riesenkängurus hielt. Australien schien sich in
seinen jungfräulichen Zustand vor dem Eintreffen der
Menschen zurückverwandelt zu haben. Und Südamerika war
eine einzige grüne Fläche: Der Regenwald, zu Bisesas
Zeit fast abgeholzt und in den letzten Zügen, war hier zu
seiner ursprünglichen Herrlichkeit erstarkt!
Über den Norden und Osten Nordamerikas breitete sich eine
gigantische Eisdecke, die sich vom Nordpol bis in die Breiten der
Großen Seen erstreckte. »Das Eis in diesem
Gebiet«, erklärte Casey, »kommt aus
verschiedenen Zeitperioden. Man kann das an den Spalten und den
zerklüfteten Rändern erkennen.« Er zeigte
Nahaufnahmen des südlichen Randes der Eisdecke, der aussah
wie ein schlampig durchgerissenes Blatt Papier. Bisesa sah die
Gletscher, die von diesem Zackenrand hinabreichten und Dämme
bildeten, in denen sie große, aus ihrem Schmelzwasser
gebildete Seen einschlossen. Von diesem Rand brodelten auch wilde
Sturmwolken weg, vermutlich dort, wo kalte Eiszeitluft
herabstürzte und über wärmeres Gebiet
strömte. Südlich des Eises war das Land kahl und
braun-grün: Tundra, festgehalten vom Permafrost und blank
gescheuert von den eisigen Winden aus dem Norden. Auf den ersten
Blick konnte Bisesa nirgendwo Menschen erkennen – doch dann
erinnerte sie sich, dass der Mensch einen sehr jungen Zuwachs
für Amerikas Fauna darstellte.
»Was ist mit Alaska passiert?«, fragte Abdikadir.
»Sieht merkwürdig aus.«
»Breitet sich gegen Beringia hin aus – du
weißt schon, die Landbrücke, die früher mal
über die Beringstraße hinweg zwischen Amerika und
Asien existierte – und über die möglicherweise
die ersten Menschen nach Amerika einwanderten. Aber dieser Weg
ist jetzt versperrt, die Brücke gibt es nicht
mehr…«
Die Führung durch die neue Welt ging weiter ohne
Unterlass; mit sichtlich unbehaglichen Gefühlen verfolgte
die Zuhörerschaft die vorbeigleitenden Bilder.
»Und Europa?«, meldete sich Ruddy plötzlich
mit gepresster Stimme. »England?«
Casey zeigte ihnen Europa. Der Kontinent war zum
größten Teil mit dichten Wäldern bedeckt. Auf dem
offeneren Land im Süden von Frankreich, in Spanien und
Italien gab es etwas menschliche Besiedlung – aber es waren
nur weit verstreute winzige Dörfer, die, so überlegte
Bisesa, möglicherweise nicht einmal von halbwegs modernen
Menschen stammten, angesichts der Tatsache, dass es sich beim
Süden Europas um das Verbreitungsgebiet der Neandertaler
handelte. Keinerlei menschliche Spuren gab es jedenfalls in
England, wo sich über das gesamte Land südlich einer
Linie, die etwa dem Hadrianswall entsprach, nichts als dichter
Wald ohne jede Unterbrechung hinzog. Weiter im Norden war der
Kiefernwald von einer großen weißen Narbe
verunstaltet, die über das schottische Hochland verlief
– ein eigensinniges Überbleibsel der Eiszeit, das sich
selbstständig gemacht hatte.
»Alles verschwunden«, flüsterte Ruddy; es
überraschte Bisesa zu sehen, wie er hinter der dicken Brille
feuchte Augen bekam. »Vielleicht greift mir das so ans
Herz, weil ich fern des Mutterlandes geboren bin. Aber die
Heimat ist dahin – die ganze Heimat mit ihrer
Geschichte bis hinab zu den Römern und noch weiter
zurück: dahingeschwunden wie Tau im Sonnenschein.«
Hauptmann Grove legte ihm eine narbige Hand auf die Schulter.
»Kopf hoch, junger Mann! Wir Schlägern diesen
vermaledeiten Wald und bauen uns unsere eigene Geschichte, wenn
wir müssen, Sie werden sehen!«
Ruddy nickte wortlos; anscheinend traute er seiner Stimme
nicht recht.
Mit großen Augen verfolgte Casey dieses kleine Melodram;
selbst das Kaugummikauen stellte er eine Minute lang ein. Dann
sagte er: »Machen wir’s kurz. Reden wir über die
Suche nach Menschen. Auf dem ganzen gottverdammten Planeten hat
die Sojus bloß drei Stellen gefunden, wo es Spuren von
technisch einigermaßen entwickelten Kulturen gibt. Eine
davon sind wir hier. Die zweite Stelle…« – er
klopfte mit dem
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