Die Zeit-Odyssee
sprach gerade ein Wörtchen mit Brown, der mit
Townshend geredet hat, welcher irgendwas gehört hat, was
Harley sagte…« Hauptmann Harley war der
Politoffizier des Forts und unterstand dem Politbüro
Khaiber, jener Abteilung der Provinzverwaltung, deren Aufgabe
darin bestand, mit den Häuptlingen und Khans der
paschtunischen und afghanischen Stämme diplomatischen Umgang
zu pflegen. Nicht zum ersten Mal beneidete Josh Ruddy um seine
guten Verbindungen zu den unteren Offiziersrängen.
»Unsere Nachrichtenübermittlung ist
zusammengebrochen«, flüsterte Ruddy atemlos.
Josh runzelte die Stirn. »Was soll das heißen?
Haben sie schon wieder den Telegrafendraht durchschnitten?«
Wenn die Verbindung nach Peschawar unterbrochen war, komplizierte
das die Übermittlung der Reportagen an die Zeitung sehr. Der
Redakteur drüben in Boston hatte wenig Verständnis
für Verspätungen, die durch den Einsatz berittener
Boten in die nächste Stadt verursacht wurden.
»Nicht nur das«, sagte Ruddy, »auch die
Heliographen! Seit Sonnenaufgang haben wir kein einziges
Lichtsignal von den Stationen im Norden und im Westen bekommen!
Brown sagt, dass Hauptmann Grove Patrouillen ausschickt. Was da
auch passiert ist, es muss ein großes Gebiet betreffen und
eine koordinierte Sache sein.«
Die Heliographen waren einfache tragbare Signalgeräte,
nichts anderes als Spiegel auf faltbaren Stativen. Überall
auf den Hügeln zwischen Jamrud und dem Khaiberpass und
hinüber nach Peschawar hatte man diese Heliographenposten
eingerichtet. Das also war der Grund dafür, dass Hauptmann
Grove vorhin im Fort so sorgenvoll dreingeblickt hatte!
Ruddy sagte: »Vergangene Nacht haben die wilden
Paschtunen irgendwo draußen im Gelände etwa hundert
Briten die Kehle durchgeschnitten; möglicherweise waren es
aber auch die Mordbrigaden des Emirs. Oder, noch schlimmer, ihre
russischen Auftraggeber persönlich.« Doch selbst
jetzt, beim Gedanken an dieses grausame Geschehen, funkelten
Ruddys Augen lebhaft hinter den dicken Gläsern.
»Dich reizt die Aussicht auf den kommenden Krieg, wie
das nur bei einem Zivilisten der Fall sein kann!«, bemerkte
Josh.
»Wenn die Zeit kommt, werde ich meinen Mann
stellen«, protestierte Ruddy. »Aber bis dahin sind
Wörter meine Gewehrkugeln – genauso wie für dich,
Joshua, also halte mir keine Predigt!« Doch sein heiteres
Naturell brach wieder durch: »Die Sache mit diesem Ding ist
aber doch wirklich aufregend, wie? Das kannst du nicht leugnen!
Endlich ist etwas los hier. Komm, machen wir uns an die
Arbeit!« Er drehte sich um und eilte zurück zum
Fort.
Josh schickte sich an, ihm zu folgen, als er vermeinte, hinter
sich ein Flügelschlagen wie von einem großen Vogel zu
hören. Er blickte sich um. Doch der Wind hatte
plötzlich die Richtung geändert, und das seltsame
Geräusch verflüchtigte sich.
Einige der Soldaten waren noch zurückgeblieben und
trieben ihre Spiele mit der Kugel. Ein Mann kletterte auf die
Schultern eines anderen, klammerte sich mit beiden Händen an
die Kugel und hängte sein ganzes Gewicht an das
»Auge«. Nach einer Weile ließ er los und
plumpste lachend zu Boden.
Zurück in ihrer gemeinsamen Unterkunft steuerte Ruddy
augenblicklich auf seinen Schreibtisch zu, zog einen Stapel
Papier heran, schraubte das Tintenfass auf und begann zu
schreiben.
Josh sah ihm zu. »Was wirst du berichten?«
»Das werde ich in einer Minute wissen.« Selbst
während er sprach, fuhr er fort zu schreiben. Er war
unordentlich, wenn er arbeitete; die türkische Zigarette im
Mundwinkel, verspritzte er Tinte in alle Richtungen. Die
Erfahrung hatte Josh gelehrt, seine eigenen Sachen
außerhalb von Ruddys Reichweite aufzubewahren. Aber er
konnte nicht umhin, den mühelosen Fluss zu bewundern, mit
dem Ruddy seine Texte niederschrieb.
Lustlos legte Josh sich aufs Bett, die Arme hinter dem Kopf
verschränkt. Im Unterschied zu Ruddy musste er seine
Gedanken ordnen, ehe er sie zu Papier brachte.
So wie für die früheren Eroberer war das Grenzgebiet
auch für die Briten strategisch lebenswichtig. Im Norden und
Westen lag Afghanistan und mitten darin der Hindukusch, über
dessen Pässe schon die Armeen Alexander des Großen und
die Horden des Dschingis Khan und Tamerlans gezogen waren –
alle wie magisch angezogen vom geheimnisvollen Reichtum Indiens
im Süden. Fort Jamrud hielt eine Schlüsselposition
zwischen Kabul und Peschawar, auf einer Linie
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