Die Zeit-Odyssee
Mazedonier waren hocherfreut, Speisen, Wein und
selbst Souvenirs wie Stiefel, Helme und eisenzeitliche Waffen
gegen Glasperlen, Mundharmonikas, Fotografien und anderen
Krimskrams einzutauschen. Und wie es schien, waren auch einige
Feldlagerhuren durchaus bereit, diesen staunenden Männern
aus der Zukunft ihre Dienste anzubieten.
Am dritten Tag entsandte Eumenes einen Diener ins Fort, der
Hauptmann Grove und seine Berater vor den König
bestellte.
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DIE LANDKARTE
Der Schmutz störte Kolja am meisten. Nach zwei Tagen in
der Jurtenstadt fühlte er sich so verdreckt, als wäre
er selbst ein Mongole, und ebenso verlaust wie alle anderen
– ja, mehr noch: Er hatte den Eindruck, die Viecher
würden sich alle ganz besonders auf ihn stürzen, weil
er eine Quelle unberührten, frischen Fleisches darstellte.
Wenn er nicht an Lebensmittelvergiftung starb, dann vermutlich am
Blutverlust.
Aber Sable sagte, sie müssten sich einfügen.
»Schau dir Yeh-lü an«, wies sie ihn zurecht,
»er ist ein zivilisierter Mensch. Denkst du, der ist mitten
in der Scheiße aufgewachsen? Eben. Und wenn er es
aushält, dann kannst du es auch!«
Sie hatte natürlich Recht. Aber das machte das Leben bei
den Mongolen keinen Deut leichter.
Dschingis Khan, so schien es, war ein geduldiger Mann.
Irgendetwas Unbegreifliches war der Welt widerfahren. Und was
es auch war, es hatte das mongolische Imperium zerrissen, was
sich an der Unterbrechung des Yam zeigte, des riesigen,
das ganze Reich umfassenden Netzes von Kurieren und
Pferdewechseln. Nun, Dschingis Khan hatte einmal ein Weltreich
aufgebaut, er würde es auch ein zweites Mal tun – er
oder seine äußerst tüchtigen Söhne.
Yeh-lü jedoch riet dem Großkhan zum Zuwarten. Es war
immer schon mongolische Gepflogenheit gewesen, möglichst
umfassende Informationen abzuwarten, bevor man beschloss, in
welche Richtung der Angriff gehen sollte, und Dschingis Khan
hörte auf seine Ratgeber.
Während dieser Periode der Überlegungen verlor der
Khan jedoch nie die Notwendigkeit aus den Augen, seine Truppen zu
beschäftigen und schlagkräftig zu erhalten. Er ordnete
ein intensives Trainingsprogramm an, das lange Ritte und
Fußmärsche einschloss. Und er befahl die Organisierung
eines Battue, einer gewaltigen Jagd in einem ausgedehnten
Gebiet, deren Vorbereitung eine Woche in Anspruch nahm. Das Battue sollte eine Übung für das
Manövrieren von Truppen, den Gebrauch der Waffen, das
Ertragen von Widrigkeiten und die Aufrechterhaltung von Disziplin
und Kommunikation sein. Es war ein bedeutungsvolles Ereignis: Die
Jagd war das Herzstück des mongolischen
Selbstverständnisses und der militärischen
Vorgangsweisen.
Währenddessen erforschte Sable die Jurtenstadt. Im
Besonderen hatte sie es auf die Truppen abgesehen, in der
Hoffnung, ihre Kampfweise kennen zu lernen.
Doch die mongolischen Krieger betrachteten Sable als ein
Ärgernis. Kolja machte die Erfahrung, dass die Frauen
– wenn man in Betracht zog, dass hier die übliche
Brautwerbung darin bestand, die Zukünftige mit Gewalt aus
einer Jurte zu entführen –, dass die Frauen also
überraschend viel Einfluss in der mongolischen Gesellschaft
ausübten, wenigstens soweit sie der Goldenen Familie
angehörten. Dschingis Khans erste Frau Borte, die etwa
gleich alt war wie er, hatte eine entscheidende Stimme bei den
Beschlussfassungen am Hof. Aber Frauen kämpften nicht, und
so waren die Krieger mehr als nur auf der Hut vor dieser
fremdartigen Himmels-Frau in ihren orangefarbenen Kleidern, und
sie hatten keine Lust, sich ihren Inspektionen auszusetzen.
Der Wendepunkt kam, als ein vom Reiswein stockbetrunkener
Reiter die Macht des Himmels vergaß und den Versuch wagte,
Sable den Overall vom Leib zu reißen. Er war ein
breitschultriger, kräftiger Mann, ein Veteran des ersten
russischen Feldzuges der Mongolen und so aller Wahrscheinlichkeit
nach persönlich schuld am Tod hunderter Menschen –
aber einer Ausbildung in den Kampfsportarten des
einundzwanzigsten Jahrhunderts war er nicht gewachsen. Eine helle
Brust entblößt, hatte Sable ihn in Sekunden am Boden,
wo er mit einem doppelten Beinbruch brüllend liegen
blieb.
Danach nahm Sables Ansehen und Aura rapide zu. Es stand ihr
frei zu kommen und zu gehen, wie es ihr beliebte – und sie
stellte sicher, dass die Legende von ihrem Sieg, natürlich
entsprechend ausgeschmückt, ihren Weg bis an den Hof fand.
Aber Kolja
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