Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Zeit-Odyssee

Die Zeit-Odyssee

Titel: Die Zeit-Odyssee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur C. Clarke , Stephen Baxter
Vom Netzwerk:
merkte, dass die Mongolen nach und nach in ihrer
Gegenwart nervös wurden, und das war gewiss kein gutes
Zeichen.
    Wenn er ehrlich war, musste er sich eingestehen, dass sogar er selbst nervös wurde, wenn sie da war. Seit langem
schon hatte sie jede Spur von Angst abgelegt, und während
sie Tag für Tag ungestraft gegen jede Art von Schranken
anrannte, wuchsen bei ihr Dreistigkeit und Härte. Es war,
als hätte das Stranden auf dieser Insel aus dem dreizehnten
Jahrhundert irgendeinen Atavismus aus den menschlichen
Ursprüngen in ihr freigesetzt.
    Kolja hingegen verbrachte die meiste Zeit zusammen mit
Yeh-lü, dem höchstrangigen Berater des Herrschers, der
aus einer der benachbarten Nationen stammte und einst als
Gefangener ins Lager der Mongolen gebracht worden war; als
versierter Astrologe war sein rascher Aufstieg in diesem Volk von
Analphabeten vorgezeichnet. Yeh-lü und andere gebildete
Männer am Hof waren von Dschingis Khan, einem
vorausblickenden Herrscher, mit der Verwaltung des wachsenden
Reiches betraut.
    Yeh-lü hatte China als Modell für den neuen Staat
ins Auge gefasst. Zur Unterstützung bei diesem Vorhaben
wählte er die fähigsten unter den Gefangenen aus, die
die Mongolen von ihren Raubzügen ins nördliche China
mitbrachten, und durchsuchte die jeweilige Beute nach
Büchern und Arzneien. So war es ihm einmal gelungen,
erzählte er bescheiden, durch die Verwendung chinesischer
Arzneien und Behandlungsmethoden während einer Epidemie in
der Mongolei viele Menschenleben zu retten.
    Yeh-lü versuchte sogar, die Grausamkeit der Mongolen zu
mäßigen, indem er an ihr Streben nach höheren
Zielen appellierte.
    Dschingis Khan hatte tatsächlich in Betracht gezogen,
China zu entvölkern, um mehr Weideland für seine Pferde
zur Verfügung zu haben, aber Yeh-lü war es gelungen,
ihn davon abzubringen. »Tote zahlen keine Steuern«,
hatte er gesagt. Kolja hatte den Eindruck, als wäre es
Yeh-lüs langfristige Absicht, die Mongolen zu zivilisieren,
indem man den sesshaften Kulturen, die von ihnen erobert wurden,
ermöglichte, sie nach und nach zu assimilieren – so
wie China bereits Wellen früherer Invasoren aus den
öden Weiten im Norden absorbiert und in seine Kultur
eingebettet hatte.
    Doch Kolja hatte keine Ahnung, wie es um sein
persönliches Schicksal stand. Aber falls es Mir für
alle Zeiten geben sollte, dann sah er in Menschen wie Yeh-lü
die beste Hoffnung für die Zukunft. Und so liebte er es,
zusammen mit diesem das Wesen der neuen Welt zu erörtern und
Möglichkeiten zu erwägen, wie man damit umgehen
sollte.
    Sables erster Versuch, eine Landkarte in den Sandboden zu
ritzen, hatte Yeh-lü tief beeindruckt, und nun stellten er
und Kolja – basierend auf den Karten der Sojus und Koljas
Gedächtnis – eine genauere Karte der ganzen Welt
zusammen. Yeh-lü war ein intelligenter Mann, der keine
Schwierigkeit hatte, die Welt als Kugel zu begreifen – so
wie die Griechen hatten auch chinesische Gelehrte schon vor
langem auf den gekrümmten Rand des Schattens hingewiesen,
den die Erde bei einer Mondfinsternis auf die Oberfläche des
Mondes warf –, und es fiel ihm auch nicht schwer, die
kartografische Darstellung der Oberfläche einer Kugel auf
einer flachen Unterlage zu erfassen.
    Nach einigen vorbereitenden Skizzen versammelte Yeh-lü
ein Team chinesischer Kopisten, die umgehend mit der Arbeit an
einer riesigen Version der Weltkarte auf Seide begannen. Nach
ihrer Vollendung würde sie den Boden einer der Jurten im
großen Pavillon des Herrschers bedecken.
    Yeh-lü war fasziniert von dem entstehenden Bild. Es
verblüffte ihn, wie wenig von Eurasien übrig blieb, um
von den Mongolen erobert zu werden. Aus der mongolischen Sicht
ihrer Kontinent-umspannenden Herrschaft schien es ein kleiner
Schritt von Russland über die westeuropäischen
Länder bis hin zur Atlantikküste. Doch angesichts der
vielen Gebiete in der Neuen Welt, im Fernen Osten und
Australasien, in Südafrika und der Antarktis, von denen
Dschingis Khan keine Kenntnis hatte, fürchtete Yeh-lü
ein wenig den Augenblick, in dem er dem Großkhan die Karte
präsentieren würde.
    Das, was die Kopisten leisteten, war wirklich schöne
Arbeit, fand Kolja. Das Eis der Pole war mit zarten weißen
Fäden angedeutet, den Verlauf der Hauptflüsse
bezeichnete gesponnenes Gold, und Edelsteine markierten die
größten Städte – alles mit Namen in
sorgfältig ausgeführter

Weitere Kostenlose Bücher