Die Zeitbestie
sich verneigten und zur Seite traten. Die Kleidung der Adligen wirkte auf Polly fantastisch: Die Männer waren in so viele Schichten teuren Stoffs gehüllt, dass die Rümpfe lächerlich riesenhaft wirkten über den in ungepolsterten Strümpfen steckenden Beinen. Die Kleidung der Frauen wirkte eher maßvoll und schien Polly beinahe für ein Nonnenkloster geeignet. Aber hier war Macht aufmarschiert – das erkannte sie an der Arroganz in Gesicht und Körperhaltung.
»Jetzt prüfen wir mal die Schärfe Eures Dolchs, Sir.«
Polly starrte Berthold an, als dieser den Dolch kurz packte und damit zustieß. Der Apfel rotierte jetzt in zwei Hälften, und Bertholds Handbewegungen wurden immer komplizierter. Er jonglierte eine Zeit lang hinter dem Rücken, genehmigte sich einen weiteren Bissen Pastete und stopfte sich anschließend eine Apfelhälfte in den Mund.
»Mffofle gloff floggle«, brummte er aus dem voll gestopften Mund.
Er hatte bislang so getan, als wären ihm die Neuankömmlinge gar nicht aufgefallen, während er die diversen Gegenstände immer höher steigen ließ. Als er dann vorgab, die Adligen endlich zu sehen, spritzten ihm in einer Parodie des Erschreckens die gekauten Bissen aus dem Mund.
»Eure Majestät!« Er verneigte sich dramatisch tief. Der Dolch fuhr mit einem Winseln zur Seite und bohrte sich zwischen den Füßen des Hauptmanns in den Boden; dann prasselten eine der drei Pasteten nach der anderen, gefolgt von der restlichen Apfelhälfte, auf Bertholds gesenktes Haupt. Die Reaktion der zentralen Gestalt in der gut gekleideten Zuschauergruppe bestand in einem pfeifenden Lachen, gefolgt von schlaffem Applaus der mit Ringen geschmückten fetten Hände. Die Übrigen in der Gruppe schlossen sich speichelleckerisch dem Applaus an. Polly starrte eine Sekunde lang auf den riesigen Mann und senkte rasch den Kopf. Mellor war vom Wagen gestiegen, um ebenfalls seine Huldigung darzubieten.
»Also ist der erstaunliche Berthold eingetroffen«, polterte König Heinrich der VIII. »Wie ich sehe, war Euer Bericht nicht übertrieben, Cromwell!«
Höfliches Lachen war der Lohn für diese geistreiche Bemerkung.
»Mögt Ihr, mein König, erneut in das Gesicht eines Mannes blicken, der König des Lachens ist.«
Polly hielt den eigenen Kopf gesenkt, während sie verfolgte, wie sich Berthold aufrichtete. Haar und Bart waren mit Krümeln bestäubt.
»Gut gemacht«, lobte der König, der Berthold deutlich überragte.
»Eure Majestät ist zu gütig«, sagte Berthold, klappte den Mund aber fest zu, als Heinrich an ihm vorbeiging und dabei so tat, als hätte der Gaukler überhaupt nichts gesagt.
»Und was haben wir hier für ein anmutiges Antlitz?«
Die beringte Hand fasste Pollys Kinn und übte sanften Druck aus, um ihren Kopf aufzurichten. Sie wusste nicht recht, an wen die Frage gerichtet war, also hielt sie wie Berthold den Mund. Der König musterte sie von Kopf bis Fuß, widmete sich aber vorrangig einer Betrachtung des Aspekts, wie reichhaltig sie ihre Bluse ausfüllte.
Verliere bloß nicht den Kopf wegen dieses Kerls!, kicherte Nandru.
»Falls er mich ein ›hübsches kleines Ding‹ nennt, dann schwöre ich, trete ich ihm in die Eier!«, knurrte Polly.
Nachdem er sich endlich vom Anblick von Pollys Brüsten lösen konnte, blickte der Monarch über die Schulter. »Cromwell?«
Ein dicker Mann, der in seiner vornehmen Aufmachung wie ein fettleibiger Geier wirkte, richtete sich aus der respektvollen Haltung auf, die er einen Schritt hinter dem König eingenommen hatte. »Zweifellos ein neues Mitglied von Bertholds Truppe, mein Fürst.« Thomas Cromwell wandte sich nun an Berthold. »Was sagst du dazu, Narr?«
»Lady Poliasta hat sich uns erst kürzlich auf unserer Reise der Unterhaltung und Freude angeschlossen, mein Lord. Sie ist aus dem Fernen Osten zu uns gekommen und versteht sich auf viele Verlockungen und Zerstreuungen des Orients.«
»Es wird mir eine Freude sein, mehr davon kennen zu lernen, denke ich«, sagte Heinrich, dessen Blick wieder auf Pollys Busen ruhte.
Na ja, man sagt nun mal wirklich, dass dein Beruf das älteste Gewerbe ist.
»Eines, das ich nicht fortführen möchte!«, hielt ihm Polly wütend entgegen.
Der König gab ihr Kinn frei und ging weiter. »Ein Rial { * } für diese kurze Darbietung, denke ich. Was sagt Ihr dazu, Cromwell?«
Der Earl of Essex grub in seiner Börse und reichte Berthold eine Münze. Als der Unterhaltungskünstler sie entgegennahm und sich verneigte, bedachte
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