Die Zeitmaschine Karls des Großen (German Edition)
Ladefläche, bis es sich weit genug neigte und sich der stinkende braune Inhalt ins Becken ergoss. Gleichzeitig wurden von einem anderen Karren kleinere Fässer abgeladen, ihre Deckel mit Äxten aufgeschlagen und aus ihnen eine andere Flüssigkeit dazugeschüttet.
»Aber das ist ja Wein!«, entfuhr es Andreas. »Die kippen den Wein in die Scheiße! Diese Leute müssen ihren Verstand verloren haben!«
»Schlimmer«, erwiderte Franklin, der bislang geschwiegen hatte, »viel, viel schlimmer.«
Noch ehe er erklären konnte, was er damit sagen wollte, zerriss ein vielstimmiges Knallen aus der Ferne die Luft. Andreas zuckte zusammen, doch Franklin schien nicht überrascht.
»Gewehre, Salvenfeuer. Sie haben Schießpulver.«
»Schießpulver?« Andreas erinnerte sich sofort an das, was Franklin ihm erst vor wenigen Tagen über die Geschichte seiner Welt erzählt hatte. »Bist du dir da auch sicher?«
»Kein Irrtum möglich. Ich war wohl blind, sonst hätte ich schon viel früher bemerken müssen, was hier vorgeht. Larue hat den Franken, vielleicht unter Zwang, verraten, wie man Pulver herstellt und Gewehre baut. Darum ist Aachen auch so streng von der Außenwelt abgeschirmt, hier werden Karls Geheimwaffen produziert und seine Elitetruppen daran ausgebildet. Die Kaiserpfalz ist nur Nebensache. Wir müssen schleunigst Larue finden, nur er kann uns mehr sagen!«
Er zog Andreas am Ärmel, und während sie auf der Suche nach Hinweisen auf das Gefängnis des Zeitreisenden suchend durch die Straßen liefen und immer wieder Gewehrsalven vom Übungsplatz herüberdröhnten, erklärte er ihm in kurzen Worten, worin das Geheimnis Aachens bestand.
»Ich habe Grund, mich zu ärgern. Während meines Aufenthalts in Trier hatte ich öfters gehört, dass der Preis für Holzkohle in die Höhe gegangen ist, aber ich habe nicht weiter darüber nachgedacht. Und die Wagen mit Fäkalien … na, da war ich einfach zu dämlich. Wenn man die Exkremente in den Becken lagert, setzt sich am Kalk der Mauern Kalziumnitrat ab. Mit einer simplen Pottaschelösung vermischt, ergibt das Kalisalpeter, den Hauptbestandteil des Schießpulvers.«
»Und wozu der Wein?«
»Im Grunde ist Wein nichts anderes als vergorener Traubensaft. Sie kippen ihn in die Becken, um den Fäulnisprozess zu beschleunigen. Eine zugegebenermaßen ziemlich kostspielige Methode, aber sie scheint zu funktionieren.«
Nun verstand Andreas, warum fränkischer Wein in Rom fast unbezahlbar teuer geworden war. Es war ganz einfach so, dass Karl es offenbar zunächst nicht gewagt hatte, seinem weindurstigen Volk sein Lieblingsgetränk vorzuenthalten, und darum lieber die Ausfuhr eingeschränkt hatte. Dass es jetzt auch im Frankenreich selbst zur Beschlagnahme allen Weins gekommen war, deutete darauf hin, dass die Vorbereitungen für einen zweifellos bevorstehenden Waffengang immer intensiver wurden.
»Außerdem«, fuhr Franklin fort, »benötigt man Holzkohle und Schwefel … ich wusste, dass die Aachener Quellen Schwefelquellen sind! Warum habe ich nicht viel eher eins und eins zusammengezählt?«
Andreas nahm die Selbstanklage nicht wahr.
Er musste an sein Gespräch mit dem römischen Gesandten denken, von dem er Franklin nur beiläufig erzählt hatte. Er war sich jetzt sicher, dass Petrus Miles ihn nicht willentlich irreführen wollte, als er ihm von einem Besuch in Aachen abriet, weil es dort nichts zu sehen gäbe. Denn hätte der Legat auch nur den leisesten Verdacht gehabt, welche Bedrohung für das Imperium hier entstand, hätte er fraglos Himmel und Erde in Bewegung gesetzt, um mehr herauszufinden und Rom von seinen Erkenntnissen zu unterrichten.
Sie kamen zum zweiten der umzäunten Lager, dessen mächtige Palisade sich mindestens zwanzig Fuß hoch erhob und jeden Blick hinein verhinderte. Die Wachtürme standen außerhalb des Geländes, und die Wachen überblickten das Lagerinnere. Es konnte sich unmöglich um eine weitere Kaserne handeln.
»Ein Gefängnis«, murmelte Andreas.
»Das sehe ich auch so«, pflichtete Franklin ihm bei. »Gefangenenlager sehen wohl immer ähnlich aus. Die Frage ist, ob sich Larue da drin befindet. Wenn ja, müssen wir uns überlegen, wie wir da rein- und hinterher wieder rauskommen. Der Gedanke schmeckt mir überhaupt nicht.«
In diesem Moment öffnete sich die Tür, die in einen der Flügel des großen Haupttores eingelassen war. Ein älterer Mönch, hager und groß gewachsen mit adlerartigen Gesichtszügen, kam heraus, ihm folgte ein höherer
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