Die Zeitrausch-Trilogie, Band 1: Spiel der Vergangenheit (German Edition)
werden Sie wirklich utopisch«, sagt Alison Raymond sichtlich verärgert.
Aus dem Inneren der Destille ist ein Pfeifen zu hören und mein Gegenüber dreht sich um. »Ich kann nicht behaupten, dass es mich gefreut hat, aber es war durchaus kurzweilig, Ihre Bekanntschaft gemacht zu machen.«
»Ich bitte Sie doch nur, die Destille zu verlassen. Nur für eine halbe Stunde!«, hebe ich an, doch die Tür ist ins Schloss gefallen, der Riegel schiebt sich schabend zu.
Plötzlich höre ich weitere Schritte und fahre herum.
Ein Mann, auf einen Stock gestützt, steht nur zwei Meter von mir entfernt. Ich kenne ihn, habe ihn aber nicht kommen hören. Seine linke Gesichtshälfte ist von einer wulstigen Narbe gezeichnet, die bis in den Mundwinkel reicht und ihn schlitzt.
»Mrs Raymond?«, zischt er.
Ich schüttele verwirrt den Kopf.
Wieder ein Schaben, die Tür öffnet sich einen Spalt und Alison Raymond lugt durch die Lücke.
»Mr Corner! Ich habe Sie nicht erwartet. Bringen Sie Neuigkeiten von meinem Mann?«
Der Alte schlappt an mir vorbei und schiebt einen schweren Stiefel in den Türspalt. Er wirkt beweglicher als am Morgen.
»Mr Hudges aus der Taverne schickt mich. War nicht zufrieden mit der letzten Lieferung, ich soll mal nen Blick auf die Produktion werfen. Hat gemeint, das Zeug wär gestreckt.«
»Warten Sie bitte, bis mein Großvater wieder …«
»Wo ist Hamilton?«, zischelt der Mann, drückt die Tür auf, um sie einen Augenblick später von innen zu verriegeln.
»Hören Sie! Was erlauben Sie sich!«, höre ich Alison dumpf, dann schwere Schritte, ein heiseres Lachen.
»Das sieht mir aber nicht gestreckt aus! Doppelt gebrannt, hä?«
Ein Brechen, Scheppern, ein kolossaler Knall, ein Piepen - mein Marker! Scheiße! Noch dreißig Sekunden. Plötzlich ein spitzer Schrei. Er kommt von Alison!
»Sind Sie wahnsinnig?« Ihre Stimme überschlägt sich, klingt panisch.
Und plötzlich begreife ich die Zusammenhänge, sehe den verächtlichen Blick des Alten vor meinem inneren Auge, als der Name Hamilton Hill in der Taverne fiel. Wie er ausgespuckt hat, um seine Meinung über den Hill-Clan zu verdeutlichen.
Er ist der Brandstifter!
Hochprozentiger Alkohol, ein paar Streichhölzer, eine geschlossene Tür … Er muss nicht warten, bis das Feuer über den Berg getragen wird. Das alles diente vermutlich nur der Ablenkung …
Entschlossen, die Zukunft in letzter Sekunde zu ändern, trete ich gegen die Tür, hämmere auf das massive Holz ein, werfe mich dagegen.
Von innen höre ich die Stimme des Alten: »Das war mein Gold! Ich hatte es gefunden! Das alles sollte mir gehören!«
Im nächsten Moment ein Knacken, wieder ein Schrei, diesmal von mir. Meine Rippe ist gebrochen und tritt sichtbar unter dem dünnen Kleid hervor. Das Atmen fällt mir schwer. Wieder Piepen, rote Balken, abwechselnd zu dem Countdown: Noch fünf Sekunden. Eine Stichflamme schießt aus dem Schornstein, von innen schreckliche Laute: Schlagen, Schreien, Brechen, Knacken … Es klingt fürchterlich, es klingt nach einem Todeskampf.
Mein Magen zieht sich zusammen und befördert bittere Galle nach oben. Ich knicke ungewollt nach vorn und stöhne. Meine Rippe scheint ihren Platz gänzlich verlassen zu haben. Noch einmal erbreche ich das bisschen Flüssigkeit, das geblieben ist, dann verschwimmt das Steinhaus vor meinen Augen.
Das Letzte, was ich in diesem Jahrhundert sehe, ist ein schwerer Stiefel, der ins Freie tritt und Sekunden danach eine rot glühende Feuerwolke.
7. KAPITEL
31. AUGUST 2013
08.02 Uhr, vor einer Stahltür
Ich kauere in einer Ecke, den Rücken an eine raue Betonwand gelehnt, und stiere auf das einzige Interieur des trostlosen Raumes: einen Eimer, daneben eine Toilettenrolle.
Vor wenigen Minuten bin ich hier erwacht, wieder, ohne Schlaf oder Erholung geschöpft zu haben.
Jetzt, da die Gefahr gebannt scheint, mein Körper nicht mehr von irgendwelchen Stresshormonen aufgepeitscht ist, fühle ich mich unendlich erschöpft und kann kaum dem Drang widerstehen, mich zusammenzukugeln, die Augen zu schließen und die acht Minuten verstreichen zu lassen, die sie mir noch geben, um zu entscheiden, ob ich in dieser Realität leben möchte. Nur mein letztes Fünkchen Verstand und der Schmerz meiner gebrochenen Rippe halten mich davon ab.
Mir gegenüber führt eine Stahltür ins Ungewisse. Ich weiß nicht, ob sie verschlossen ist oder was mich dahinter erwartet, von der anderen Seite vernehme ich dumpf menschliche Laute, zumindest
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