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Die Zeitreisenden in Callahans Saloon

Titel: Die Zeitreisenden in Callahans Saloon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Spider Robinson
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feuchten Tisch Muster zu zeichnen.
    »Ich habe mich nach einer anderen Tätigkeit umgesehen. Ich sehe mich seit beinahe sechs Monaten um. Gibt es unter Ihnen Arbeitslose?«
    Diese Frage war eine Gemeinheit, denn sie war schuld daran, daß ich ein Glas mit Bushmill in den Kamin schleuderte.
    Hauptman nickte und wandte sich dem rothaarigen Gebirge hinter der Theke zu.
    »Und das, Mr. Callahan«, bemerkte er ruhig, »ist der Grund, warum ich mit einer Pistole in Ihrem Lokal stehe, die ich in einer finsteren Seitengasse von einem jungen Mann gekauft habe, der mehr Haare auf dem Kopf hatte als Mary in ihrer besten Zeit. Ich habe einfach nicht gewußt, was ich sonst tun könnte.«
    Er wandte sich wieder an uns.
    »Und auch das ist schiefgegangen. Mir bliebt also nur ein einziger Ausweg.« Er seufzte tief. »Ob ich Mary wohl wiedersehen werde?«
    Callahans Gäste sind an und für sich nicht gerade auf den Kopf gefallen – von einigen bemerkenswerten Ausnahmen abgesehen –, und niemand in dem Raum wäre auf die Idee gekommen, daß das Hauptmans letzter Ausweg war. Aber gleichzeitig sind wir sehr human und treten fanatisch für die Freiheit des Individuums ein; deshalb konnten wir nicht in der üblichen Weise reagieren, ihm seine Idee ausreden oder die Polizei holen oder ihn in die Jacke stecken lassen, die nur aus Ärmeln besteht. Vielleicht fanden sogar einige von uns, daß er wirklich keine Alternative hatte. Seine Geschichte war uns ganz schön an die Nieren gegangen, muß ich zu unserer Verteidigung sagen.
    Denn wir starrten ihn nur hilflos an; die Stille war zum Greifen, pochte in unseren Schläfen und brannte in unseren Augen.
    Dann räusperte sich Callahan.
    »Sein oder nicht sein«, deklamierte er mit einer Stimme wie ein Nebelhorn. »Ist das die Frage?«
    Wie gesagt, wir sind nicht gerade auf den Kopf gefallen, aber wir brauchten eine volle Sekunde. Als ich endlich kapiert hatte, hatte sich Callahan bereits hinter der Theke hervorgewälzt, hatte einen Krug und drei Gläser auf den Boden gewischt und sich in das Tischtuch gehüllt wie in eine Toga. Doc Webster grinste erleichtert.
    »Hör zu, du gottverdammter Blödmann«, deklamierte Callahan pathetisch wie ein Schmierenkomödiant, »es ist verdammt edler im Gemüt, die Pfeil und Schlingen des wütenden Geschicks zu ertragen, als gegen ein Meer von Plagen anzukämpfen und dabei geschlagen zu werden. Nein, pfeif drauf ...« Er verdrehte die Augen, seine riesigen Hände ruderten in der Luft herum, und er dröhnte weiter.
    Hauptman starrte ihn mit offenem Mund verständnislos an.
    Doc Webster kletterte mühsam auf einen Stuhl, räusperte sich geräuschvoll und stellte sich in Positur.
    »Begib dich nicht hinaus in diese gute Nacht«, begann er leidenschaftlich.
    Plötzlich wurde Callahans Lokal zu einem Irrenhaus, in dem es zuging wie in einem Theater, in dem sich die Schauspieler genauso wirr ›einstimmen‹ wie ein Orchester. Jeder hielt sich für Barrymores Geist, und durch die Luft schwirrten pathetische Hymnen auf das Leben und den Mut. Ich holte meine alte Gitarre heraus, begleitete den Schnellen Eddie und den Chor zu »Pack deine Sorgen ein«, und wir vollführten einen Höllenlärm.
    »Schon gut, schon gut«, brüllte Callahan nach einigen Minuten. »Das sollte reichen, Gentlemen. Ich glaube, der Oscar gehört uns.«
    Er drehte sich zu Hauptman um und warf das Tischtuch zu Boden.
    »Na, Reverend«, knurrte er. »Können Sie diese schauspielerische Leistung übertreffen?«
    Der kleine Pfarrer sah ihn lange sinnend an, dann begann er zu lachen und konnte nicht mehr aufhören. Es war ein anderes Lachen als vorher; es klang nicht mehr hysterisch und verzweifelt. Es war echt, kam aus dem Herzen, zerrte nicht an unseren Nerven wie ein Nagel, der über Glas kratzt, sondern schenkte uns ein Gefühl des Stolzes und der Erleichterung. Eine Art Anerkennung für unsere Darstellungskunst.
    »Gentlemen«, sagte er schließlich, immer noch kichernd, und klatschte müde Beifall, »ich gebe mich geschlagen. Sie haben mich in einem fairen Kampf besiegt; mit Ihnen kann ich mich nicht messen.«
    Dann wurde er plötzlich ernst und sah uns an. »Ich ... ich habe nicht gewußt, daß es auf der Welt Menschen wie Sie gibt. Ich ... ich glaube, daß ich es jetzt schaffen werde. Ich werde schon irgendwo Arbeit finden. Es ist nur ... na ja ... wenn jemand anderer auch weiß, wie schwer es ist, dann ist alles in Ordnung.« Seine Mundwinkel verzogen sich zu einem glücklichen Lächeln und

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