Die Zeitreisenden in Callahans Saloon
Gesicht verwandelte sich in Schuldbewußtsein. Bravo, Callahan, dachte ich.
Ich wußte nämlich etwas, was der Pfarrer nicht wußte: Wenn Callahans Stimme zornig klingt, spielt er Theater, denn wenn er wirklich stocksauer ist, macht er sich nicht die Mühe zu sprechen.
Der kleine Pfarrer brauchte eine Weile, bis er wieder reden konnte. »Wissen Sie«, flüsterte er schließlich, als der Doc mit seiner Hand fertig war, »es waren zehn Jahre. Zehn Jahre ... Ich ... ich weiß nicht, ob Sie mich verstehen können. Ich weiß, daß Mary vor zwei Jahren gestorben ist – aber darum geht es nicht. Doch ich habe so lange Zeit nur Mary gesehen, und jetzt weiß ich überhaupt nichts.
Wir haben in der ganzen Zeit nie eine Zeitung oder eine Zeitschrift oder eine Fernsehsendung gesehen, wir haben nicht einmal Radio gehört. Wir hatten überhaupt keine Verbindung zur Außenwelt; wir waren vollkommen isoliert.«
»Verdammt«, sagte Tommy Janssen, »das klingt wie das richtige Rezept für mich, um meinen Kopf endlich klar zu bekommen.« Ich hatte an eine Erzählung von Theodore Sturgeon gedacht, die › Es folgen die Nachrichten‹ hieß, und war ganz Tommys Meinung, was ein Hinweis darauf ist, wie genau ich die Geschichte gelesen habe.
»Den Kopf klar kriegen!« explodierte Haupt-man.
»Sie wissen genau, was der Junge meint«, schaltete sich Longdrink ein. »Wir wissen, daß diese Jahre für Sie ein Alptraum waren, aber für uns waren sie auch nicht gerade ein Honigschlecken. Sie haben eine Menge Schwierigkeiten, schlechte Zeiten und Unruhen versäumt, und vielleicht war das gar nicht so schlecht. Die meisten von uns haben sich irgendwann einmal gewünscht, den ganzen Mist eine Zeitlang nicht mehr sehen zu müssen, und sie waren wenigstens in dieser Beziehung besser dran. Was haben Sie gegen die Isolierung?«
»An und für sich nichts«, erwiderte Hauptman ruhig. »Das Problem besteht darin, daß die Welt nicht auf einen wartet. Man ist etwas länger vom Fenster weg, und die Welt dreht sich inzwischen weiter.«
»Ich beginne zu begreifen, was Sie meinen«, sagte Callahan langsam.
»Sie haben noch nicht einmal damit begonnen«, widersprach Hauptman. »Sie können es nicht. Sie sind zu nahe dran. Innerhalb von zehn Jahren
dreht sich die Welt so, daß das Oberste zuunterst kommt, aber Sie drehen sich mit, deshalb merken Sie es nicht. Es spielt sich im Lauf von Tagen, Wochen und Monaten ab, und die meisten Menschen können sich dem Tempo anpassen. Aber ich erkenne diese Welt nicht wieder – ich habe den Wandel nicht miterlebt.
Ich werde euch ein wenig Geschichtsunterricht erteilen.«
Er stand auf, ging zur Theke und streckte die Hand aus. Callahan drückte ein Glas Gin hinein. Hauptman drehte sich um, sah uns an, nahm einen langen Schluck und räusperte sich pedantisch.
»Mary und ich sind im Februar 1963 nach Pasala gefahren«, begann er. »Ich hatte seither Gelegenheit, mein Gedächtnis an Hand von Zeitungsausschnitten aus der New York Times aufzufrischen, und etliches davon könnte Sie interessieren.
Am Tag unserer Abreise zum Beispiel waren seit dem Beginn der US-Intervention in Vietnam insgesamt dreiunddreißig Amerikaner getötet worden. Kein Mensch hatte übrigens eine Ahnung davon; erst ein paar Tage nach unserer Abreise schlug die Studiengruppe von Senator Mansfield Alarm, weil der Kampf in Vietnam zu ›einem amerikanischen Krieg wurde, den die derzeitigen Sicherheitsinteressen der USA in diesem Gebiet nicht rechtfertigten‹. Dieses gottverlassene Land kostete uns vierhundert Millionen Dollar jährlich.
Natürlich erwiderte General O‘Donnell am
nächsten Tag, daß die vielen Kampfflieger unter den ›Beratern‹ nur die Vietnamesen ausbildeten und nicht selbst in die Kämpfe eingriffen.
Seither ist eine Menge geschehen, finden Sie nicht?
Wie wäre es mit einem anderen Gebiet, meine Freunde? Im November 1962 warnte Dean Munro von der Harvard University die Studenten davor, ›das Stimulans LSD zu nehmen, weil es zu Depressionen führt‹, und tadelte die Professoren Alpert und Leary, die für seine Verwendung eintraten. Dr. Leary erwiderte, daß Hysterie immer schon die Forschung behindert hätte und daß es keinen Beweis dafür gäbe, daß die Droge schädlich sei.
In Kalifornien warnten die Behörden um die gleiche Zeit vor einer neuentdeckten Droge, die auf den Straßen gehandelt wurde. Sie hieß Methedrin.
Die Neue Amerikanische Kirche kämpfte immer noch, allerdings erfolglos, um das Recht,
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