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Die Zeitreisenden in Callahans Saloon

Titel: Die Zeitreisenden in Callahans Saloon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Spider Robinson
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während meiner Jahre als Hure gute Zeiten gegeben; der Beruf wird stark unterbewertet. Ich glaube, keiner von Ihnen kann beurteilen, wie groß meine Freuden waren – denn Sie haben recht, Mike: die Freude erwächst aus dem Schmerz, den man vorher erlebt hat, und umgekehrt. Ich hätte Jakobs ruhige Art, mich zu akzeptieren, bestimmt nicht so geschätzt, wenn ich nicht zwei Jahrhunderte lang nach ihr Ausschau gehalten hätte.
    Na ja, es hört nie auf, rauf und runter zu gehen – das wurde mir klar, als Jakob getötet wurde; deshalb hat sich bestimmt keiner Ihrer Gäste so darüber gefreut, daß er Ihre Bar gefunden hat, wie ich.«
    »Ja aber ... ich meine, warum ...?«
    »Warum ich unglücklich bin? Sehr einfach: je länger mein Leben dauert, desto deutlicher begreife ich, daß ich einmal sterben werde. Ich bin mir meiner Sterblichkeit wesentlich stärker bewußt als jeder von Ihnen der seinen. Verdammt, ich sterbe seit zweihundert Jahren.
    Und wie bewältigt ihr normalen Menschen das Bewußtsein, daß ihr sterblich seid? Wie werdet ihr mit dem Tod fertig?«
    »Mein Gott«, stöhnte der Doc. »Jetzt begreife
    ich. Der Trinkspruch ...«
    »Richtig«, nickte Rachel. »Der Toast, bei dem ich zum erstenmal seit zwanzig Jahren geweint habe. ›Auf die Mutterschaft‹. Ich will nie wieder etwas über Mutterschaft hören, sehen oder sagen. Ein Mensch, der Angst vor dem Tod hat, wird sich entweder dazu entschließen, an ein Leben nach dem Tod zu glauben ... oder Kinder bekommen, so daß er in ihnen weiterlebt. Seit der Zeit, als ich mit Benjamin zusammen war, glaube ich nicht mehr an Gott – und alle meine Kinder sind gestorben, ohne daß sie Kinder hinterließen, und ich kann keine Kinder mehr bekommen! Ich hatte neunzehn Mal eine Chance, wirklich unsterblich zu werden, und jedesmal ist es danebengegangen. Ich bin der letzte Sproß meiner Familie.
    Was werde ich also hinterlassen? Ich kann keine weltbewegenden Bücher, Gemälde oder Musikwerke schaffen; ich kann keine Gebäude errichten; ich kann keine allgemeingültigen Weisheiten prägen. Niemand auf der Erde ist so lange am Leben wie ich – und wenn ich tot bin, hinterlasse ich absolut nichts; am dauerhaftesten wird noch Ihre Erinnerung an meine Person sein.«
    Ihre Stimme klang jetzt hoch und schrill, und sie hielt die Hände keinen Augenblick still. »Eine Zeitlang hatte ich noch einen Funken Hoffnung, denn diejenigen meiner Kinder, die mein Muttermal geerbt hatten – eine liegende Sanduhr auf dem linken Schulterblatt –, schienen auch meine Langlebigkeit zu besitzen. Aber dieses verdammte Muttermal ist ein Fluch, kein einziges dieser Kinder hatte Lust, selbst Kinder zu zeugen oder zur Welt zu bringen, und sie sind alle durch Unfälle oder Krankheiten ums Leben gekommen. Wenn nur eines von ihnen ein Kind hinterlassen hätte, wäre ich heute glücklich. Doch der Fluch ist nicht gebrochen worden.« Sie schlug mit der Faust auf die Theke. »Wenn ich einmal tot bin, bin ich fort, ohne eine Spur zu hinterlassen. Ich werde Jahrhunderte gelebt haben, und was ich hinterlasse, ist nicht dauerhafter als ein Fußabdruck im Schnee!«
    Sie weinte wieder, ihre Stimme klang schrill und gequält, schmerzverzerrt. Eddies Gesicht zuckte vor Erregung, und er versuchte etwas zu sagen; aber sie ließ ihn nicht zu Wort kommen.
    »Was könnt ihr mir also anbieten, Jungs? Was für eine Lösung? Habt ihr etwas zur Hand, das nützlicher ist als ein Glas Bourbon?« Sie stand auf und feuerte ihr leeres Glas in den Kamin. Dann schnappte sie sich die Gläser von der Theke und warf sie hinterher, keuchte vor Anstrengung, sprach aber immer weiter: »Was für Antworten ... habt ihr ... für eine ... alte Frau, die ... in einer Kiste ... gefangen ist ... die bergab in ...« Die Gläser waren ihr ausgegangen, deshalb packte sie bei den letzten Worten den hochbeinigen Lehnstuhl, auf dem sie gesessen hatte, und hob ihn über den Kopf. Um ihn auch in das Feuer zu werfen. In diesem Augenblick veränderte sich ihr Gesichtsausdruck, ungläubiges Staunen überlagerte den hysterischen Zorn.
    »... den Tod gleitet?« schloß sie leise und sank wie eine Stoffpuppe zusammen. Der Stuhl polterte in eine Ecke.
    Der Doc war flink und ihr um drei Meter näher, aber der Schnelle Eddie schlug ihn mühelos. Er rutschte den letzten Meter auf den Knien, hob Rachels Kopf unsagbar zärtlich auf seinen Schoß und brüllte: »Hör mir jetzt zu, Rachel.« Der Doc versuchte, sie ihm zu entreißen, aber ohne aufzuschauen

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