Die Zeitreisenden in Callahans Saloon
zugeschrieben und lautete: »Ein Mann sollte ewig leben oder bei dem Versuch ums Leben kommen.«
»Frauen doch auch?« fragte sie.
Callahan sah sie erstaunt an, und sie zeigte auf das Zitat. Er studierte es eine Minute, dann wandte er sich wieder ihr zu.
»Haben Sie eine bessere Lösung?«
Sie zuckte die Schultern und streckte die Hand aus. Der große Barkeeper drückte ihr ein Glas
I. W. Harper hinein und schenkte sich selbst eines ein. Die geistreichen Gespräche im Raum verklangen. Sie nippte ... dann sagte sie ein Wort, das ich noch nie von ihr gehört hatte, und kippte den Rest hinunter.
Danach stand sie auf und trat an die Kreidelinie vor dem Kamin. Die Stille war jetzt vollkommen.
»Auf die Mutterschaft«, sagte sie deutlich und schleuderte das Glas. Es klang wie ein zersplitterndes Herz.
Sie drehte sich um, musterte uns nachdenklich und überlegte sichtlich, ob sie es loswerden wollte.
»Ich bin seit über drei Monaten hier«, begann
sie schließlich, »und in dieser Zeit habe ich viel gelacht. Aber ich habe auch viel Schmerz gesehen, und ich habe gesehen, wie ihr diesen Menschen geholfen habt. Dem Mann mit einem Bein; dem Mann, dessen Braut ins Kloster gegangen war und der so fromm war, daß er sich nicht gestattete, darüber traurig zu sein; dem erblindeten Skilehrer; dem armen Tom Flannery. Ich habe hier auch die seltsamsten Geschichten meines Lebens gehört, und wenn mir überhaupt jemand helfen kann, dann seid ihr es.«
Ich habe mindestens hundert Mal erlebt, wie Leute in Callahans Saloon Hilfe suchten – dazu ist das Lokal schließlich da. Ich weiß nur von einem Mann, der abgewiesen wurde – und das war ein Sonderfall. Wir gaben Rachel zu verstehen, daß wir bereit waren, ihr auf jede mögliche Art und Weise zu helfen, und der Schnelle Eddie brachte ihr einen Stuhl und einen frischen Drink. Sie hatte sich wieder soweit gefaßt, daß sie ihm freundlich dankte; und dann begann sie zu sprechen. Während des gesamten Berichts klang ihre Stimme ausdruckslos und unpersönlich. Als erteile sie Geschichtsunterricht. Schon ihre ersten Worte brachten die Erklärung dafür.
»Es ist eine lange Geschichte«, begann sie müde, »jedenfalls für mich. Eine ungewöhnlich lange Geschichte. Sie beginnt mit dem Tag meiner Geburt, dem 25. Oktober 1741.«
»Wie bitte?« fragten der Doc, Longdrink und ich gleichzeitig – und am lautesten der Schnelle Eddie. »Sie meinen 1941«, schlug Eddie vor.
»Ist das Ihre Geschichte oder die meine? Ich meine 1741. Und wenn Sie nicht bereit sind, mir zu glauben, Gentlemen, dann höre ich wohl besser gleich wieder auf.«
Wir überlegten. Im Vergleich zu den Dingen, die ich in Callahans Saloon schon gehört – und geglaubt – hatte, war ihre Behauptung nicht weltbewegend. Wenn ich es mir recht überlege, erklärte sie sogar einiges. Zum Beispiel den Ausdruck ihrer Augen.
»Es tut mir leid, Rachel«, entschuldigte sich Callahan für alle. »Sie sind also 232 Jahre alt. Sprechen Sie weiter.«
Eddie sah aus, als wäre er unter einen Lastwagen geraten.
»Klar«, stimmte er tapfer zu. »Tut mir leid, daß ich Sie unterbrochen habe.«
In den nächsten sechs oder sieben Stunden erzählte uns Rachel die unglaublichste Geschichte, die ich vorher oder nachher jemals gehört habe. Selbst wenn ich wollte, könnte ich sie nicht wiedergeben; die uncharakteristisch unpersönliche Stimme schien ewig weiterzusprechen; sie erzählte uns von dem Glück und dem Leid in einem über zweihundert Jahre währenden Frauenleben. Wenn Sie mich hypnotisieren, könnten Sie die Story vermutlich Wort für Wort aus mir herausholen, weil ich die ganze Zeit über zugehört habe, aber die Länge und die Bedeutung der Erzählung hatten mein Kleinhirn zeitweise außer Funktion gesetzt; das Langzeitgedächtnis ist bei mir längst im Eimer. Doch jeder von uns behielt einzelne Bruchstücke in Erinnerung, und ich startete später eine Umfrage. Ich selbst erinnere mich zum Beispiel daran, wie sie beschrieb, daß sie in einem Kellerloch hockte, während ihr Mann und ihre ersten sechs Kinder in einer Feuersbrunst umkamen; sie erwähnte immer wieder, wie eng es dort gewesen war und wie sehr es sie gestört hatte, daß sie sich nicht aufrichten konnte; selbst nach so langer Zeit befaßte sich ihr Geist nur mit den körperlichen Leiden. Tom Hauptman erinnert sich genau an die Sache mit ihrem zweiten Mann, dem Pfarrer, der den Verstand verlor und ihre nächsten fünf Kinder und sich selbst umbrachte, weil ein
Weitere Kostenlose Bücher