Die Zeitreisenden in Callahans Saloon
erinnere mich an ein Dutzend My Lais, und ich war zähnebleckend wie ein Wolf daran beteiligt. Wut schmeckt besser als Verwirrung, und diesmal war es leichter zu töten als zu denken.
Ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre, wenn ich mit dieser Mordlust in mir nach Hause gekommen wäre. Gott weiß, was aus denen geworden ist, bei denen es der Fall war. Aber zwei Wochen vor meiner Entlassung bekam ich einen Brief von einem Freund in den Staaten, einem Proviantmeister im Ausbildungslager.
Steven McConell war im Militärgefängnis gestorben. Er war »die Treppe hinuntergefallen« und hatte sich beinahe jeden einzelnen Knochen im Körper gebrochen; die offizielle Version war Tod durch Unfall. Genau wie bei Sean – nur war diesmal unsere Seite dafür verantwortlich.
Während ich den Brief las, verwandelte sich meine Mordlust in das Gegenteil. Am nächsten Morgen zog ich mit meiner Einheit aus und versuchte zu sterben. Aber ich vermurkste es und bekam auf diese Art meine zweite Auszeichnung. Ich bekam in Vietnam keine Chance mehr zu sterben; sie schickten mich aus dem Spital direkt nach Hause, nachdem sie meine Schulter sauber zusammengeflickt hatten, und gaben mir ein Stück Papier mit, auf dem mir bescheinigt wurde, daß ich wieder ein normales menschliches Wesen war.
In den Staaten kam es mir gar nicht mehr so vernünftig vor, mich umzubringen, deshalb versuchte ich statt dessen zu vergessen. Eine Zeitlang half mir der Alkohol dabei; aber ich mußte ihn aufgeben; mein Magen vertrug das Quantum nicht, das ich brauchte. Dann war eine Weile Marihuana eine echte Hilfe für mich, aber manchmal wirkte es in die verkehrte Richtung: Ich sah Ströme von Blut und Seans Finger und Steve schlaff wie einen Sack. Ich versuchte es also mit Kokain, und das war großartig. Dann gab mir eines Tages ein Dealer, der Steve ähnlich sah, etwas ganz Tolles.
Heroin war genau das Zeug, das ich brauchte, und ich war überhaupt nicht darüber erstaunt, daß ich davon abhängig wurde.
Aber es ist komisch ... wahrscheinlich wollte ich mich eigentlich gar nicht umbringen. Ich hörte von dieser neuen Masche mit der transzendentalen Meditation, trieb mich bei Treffen der Ananada Marga Yoga-Gesellschaft herum, und wurde tatsächlich sauber. Statt auf Heroin high zu werden, wurde ich auf himmlische Glückseligkeit high, was
billiger, gesünder, gesetzlich erlaubt und insgesamt viel befriedigender ist.
Es dauerte ein Jahr, bis ich draufkam, daß ich überhaupt nichts leistete.
Doch gerade um diese Zeit hatte ich Glück: ich befolgte den Rat meines Arztes, Doctor Webster, und begann, Callahans Saloon aufzusuchen. Und mein Kopf wurde klarer, viel klarer. Ehe ich mich versah, stand ich auf einer Bühne, hielt vor Vietnam-Veteranen eine Rede und lernte, daß es Dinge gibt, für die es sich lohnt zu kämpfen – aber sauber zu kämpfen. Ich hielt also weitere Reden, beteiligte mich an Demonstrationen und trat im Fernsehen auf. Ich bin viermal verhaftet worden, ein Polizist hat mir das Bein gebrochen, und in meiner Heimatstadt haben sie meinen Namen aus der Ehrenliste der Vaterlandsverteidiger gelöscht. Mein Vater spricht – noch – nicht mit mir, und mein Telefon ist angezapft.
Ich fühle mich großartig.
... und das alles verdanke ich Ihnen, Mr. Callahan«, schloß Tony.
»Blödsinn, Tony«, knurrte Callahan, »wir haben nichts für Sie getan, das Sie nicht auch selbst hätten tun können.«
»Sie haben mich akzeptiert. Sie haben mir klargemacht, daß ich ein normaler Mensch bin, der in einen Alptraum geraten war, einen Alptraum, durch den er erfuhr, daß er das Zeug zu einem Killer in sich hat. Eines Abends habe ich Ihnen und Ihren Gästen diese Geschichte erzählt, und Sie haben mich nicht angestarrt wie einen tollwütigen Hund. Sie haben mir erklärt, daß ich eine größere Zuhörerschaft brauche.
Sie haben mir gezeigt, daß nicht mein Killerinstinkt mich nach Vietnam gebracht hat, sondern meine Unfähigkeit, Probleme bis zum Ende durchzudenken. Sie haben mir gezeigt, daß ich sehr wohl über Steves Mut verfüge, auch wenn ich etwas länger gebraucht habe, um die gleiche Entscheidung zu treffen wie er. Ich war davon überzeugt gewesen, daß ich diesen Mut nicht aufbringen kann, deshalb habe ich es nie versucht. Als ich es dann doch tat, fand ich ihn. Weil Sie an mich geglaubt haben.
Das Gefängnis ist zwar nicht gerade ein Erholungsheim, aber ich möchte tun, was in meinen Kräften steht, damit niemand mehr so durch den
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