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Die Zeitreisenden in Callahans Saloon

Titel: Die Zeitreisenden in Callahans Saloon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Spider Robinson
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und nahm das Inventar auf: ein Feuerwehrmann, eine einen Meter siebzig große Ente, zwei Monster (eines purpurrot mit Tentakeln, eines grün mit Pelz) und ein Conan der Barbar. »He, Mike«, rief ich Callahan zu, »stell mal mich und Finn vor, damit wir Geschichten austauschen können.« Callahan nickte und öffnete den Mund, aber der Doc hielt ihm ein Bier hin. »Ich biete Bier, Bär«, verkündete er, und ringsum wurde wieder gestöhnt.
    »Okay«, sagte ich, »dann fange ich eben selbst an. Hello, Leute. Ich bin Jake, und das hier ist Mickey Finn.« In der Gruppe ertönten ebenfalls ein paar Hellos, und eine Brezel flog in meinen Drink.
    »Ich habe von Ihnen gehört, Mr. Finn«, stellte der Schäfer grinsend fest. »Angeblich ist es höllisch, mit Ihnen zu trinken.«
    Offenbar hatte der Schäfer noch nie von diesem Mickey Finn gehört, und ich schaute zu Finn hinüber, um zu sehen, wie er darauf reagierte. Ich hätte mir keine Sorgen machen müssen – er trieb sich schon lang genug in Callahans Saloon herum.
    »Ich komme mir wie ein Hammel vor, Sir, wenn Sie meinen Namen zu wörtlich nehmen. Das wäre sehr schle-e-e-e-cht, denn ich würde mich freuen, fröhlich mit einem Finn-Fan zu flaxen.«
    Callahan und ich lachten laut, und Doc Webster blitzte uns empört an. »Verdammt«, fluchte er, »ich werde wahrlich meine Witze wegwerfen.«
    »Ein hypokratischer Eid«, stellte die Ente fest, und der Doc warf ihm ein Säckchen mit Erdnüssen an den Kopf.
    »Duckt euch, duckt euch, der Doc«, krähten Callahan und ich gleichzeitig, und die Tischrunde wieherte vor Lachen.
    »Hören Sie auf, Jake«, meinte der Schäfer, als wieder Ruhe eingetreten war, »Ihr Vorschlag, Geschichten auszutauschen, klingt gut. Jeder von uns soll seinen Namen nennen und erklären, wieso er hier bei Callahan gelandet ist. Ich bin sicher, daß die Geschichten der meisten Anwesenden mir etwas fürs Leben geben werden – offenbar kommt niemand ohne bestimmten Grund hierher. Wie stellen Sie sich dazu?«
    Wir sahen einander an. »Einverstanden.« »Okay.« »Warum nicht?« Niemand weigerte sich – die Menschen kommen schließlich zu Callahan, weil sie das Bedürfnis haben, sich ihre Kümmernisse von der Seele zu reden – und das erste Mal ist es immer am schwersten. »Fein«, fuhr der Schäfer fort, »dann werde ich wohl den Anfang machen müssen.« Er nahm ein Glas, ließ es sich vollschenken und feuchtete sich erst einmal die Kehle an. Er war ungefähr in meinem Alter und hatte an den Schläfen ein paar weiße Strähnen, so daß er in seinem klassischen Schäfergewand wie Homer in seinen besten Jahren aussah. Sein Gesicht war anziehend und seine Figur ausgezeichnet, aber ich stellte zu meiner Überraschung fest, daß ihm das linke Ohrläppchen fehlte. Auf der rechten Schulter hatte er eine Narbe, die in der sonnengebräunten Haut kaum sichtbar war und aussah, als stamme sie von einer Schrotsäge.
    »Ich heiße Tony Telasco«, begann er. »Ich halte Vorträge, zeige dabei Diapositive, halte Reden und lande gelegentlich im Knast, aber bevor ich zu Callahan kam, habe ich noch viel mehr gemacht. Eine Zeitlang war ich ein transzendentaler Meditator und habe meinen Nabel angestarrt. Davor war ich rauschgiftsüchtig und davor war ich ein Trinker, und davor war ich ein Killer. Und zwar sofort nachdem ich dem Kindesalter entwachsen war.
    Wissen Sie, eigentlich bin ich ein Veteran aus dem Vietnamkrieg.«
    Ringsum ertönten leise Pfiffe und Ausrufe.
    Ich war das erste Jahr am College (fuhr Tony fort), als ich von meiner Einberufungskommission das magische Stück Papier bekam. Studenten der Wirtschaftsuniversität wurden nicht vom Wehrdienst befreit, daher standen mir die drei klassischen Möglichkeiten offen: Gefängnis, Kanada oder Vietnam.
    Das heißt, ich hatte eigentlich keine Wahl. Damit Sie keinen falschen Eindruck von mir bekommen: ich hatte eine Scheißangst vor Vietnam – ich hatte nämlich im Fernsehen etliches darüber gesehen. Aber ich hatte Angst und schämte mich gleichzeitig, mich einlochen zu lassen, und ich hatte Angst und zu wenig praktische Kenntnisse, um zu emigrieren. Es würde kein Honiglekken werden, wenn ich mich in ein fremdes Land verschiffen ließ und dort kämpfte, aber es erschien mir unmöglich, daß ich in ein anderes Land übersiedelte und dort ohne erlernten Beruf und ohne akademischen Titel meinen Lebensunterhalt verdiente. Blieb also Vietnam als das kleinste von drei Übeln. Ich nahm nie eine moralische Wertung des

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