Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition)
Sandra Mayer, eine der Nachbarinnen, sagt: «Ich war immer begeistert, wie hübsch sie war.»
Oft klingelt Zschäpe tagsüber bei den alleinerziehenden Müttern und spielt ausgelassen mit deren Kindern. Zusammen rätseln sie, welche Bilder beim Memory-Spiel zusammenpassen, oder unterhalten sich. «Die hatte ein Händchen für Kinder, das sah man», sagt Mayer. Manchmal nimmt Beate Zschäpe auch die Hand der geistig zurückgebliebenen Tochter einer der Nachbarinnen und schlendert mit ihr zusammen in den Supermarkt. Das Mädchen darf sich dann immer etwas aussuchen.
Ihre beiden Katzen Lilly und Heidi sind ihr Ein und Alles. «Das waren ihre Babys», sagt Sandra Mayer. Als eine der Katzen davonläuft, ist Zschäpe niedergeschlagen und weint bitterlich. «Ich habe die Frau noch nie so fertig gesehen», erinnert sich die Nachbarin.
Wenn die Kinder der Nachbarinnen im Bett sind, setzt sich Zschäpe an den Küchentisch und bleibt noch zum Quatschen bei den Müttern. «Wir haben dann meist ein Glasel oder auch mal zwei Flaschen Wein getrunken», sagt eine von ihnen. «Manchmal waren es auch drei Flaschen, und zu bestimmten Anlässen gab’s auch Schnäpse.» Berauscht vom Alkohol reden die Frauen über Männer, Mode und den ganzen Rest des Lebens. «Na, so Frauensachen eben», sagt Peggy Prohlis.
Zschäpe hört lieber zu, als aus ihrem eigenen Leben zu berichten. Für eine der Nachbarinnen wird sie zu einer Art Therapeutin. Ihr konnte die Frau alle Probleme erzählen: «Sie hat uns zugehört. Sie hat wirklich immer gesehen, wenn was mit mir nicht in Ordnung ist. Das hat uns so verbunden. Sie weiß mehr von den Sachen über mich als manch anderer. Ihr konnte ich mich anvertrauen, ich konnte ihr blindlings vertrauen.» Obwohl die Frau fast acht Jahre älter ist, bezeichnet sie Zschäpe noch heute als «meine große Schwester».
In den Jahren im Haus redet Beate Zschäpe nur selten über ihre eigenen Nöte. Einmal beklagt sie sich, dass die Männer oft im PC-Raum schliefen und dass «ihr Mann» nicht mehr mit ihr im Zimmer übernachten würde. Aber trotzdem sei ihre Beziehung in Ordnung.
Im Mai 2004 braucht die Zelle wieder Geld: Innerhalb von fünf Tagen rauben Böhnhardt und Mundlos zwei Banken in Chemnitz aus, eine am Freitag, die zweite am Dienstag darauf. Sie haben einen Revolver und eine Pumpgun dabei. Beim ersten Überfall sind sie genervt über die vielen kleinen Scheine, einer der beiden brüllt beim Hinausgehen: «Seid ihr eine beschissene Bank oder ein Kleingartenverein?» Beim zweiten Überfall benutzen sie dreist noch einmal die Plastiktüten mit den Aufschriften «Bahr Heimwerkermärkte» und «Kaufland», die Augenzeugen schon beim ersten Bankraub bemerkt haben. Insgesamt erbeuten sie an diesen beiden Tagen über 100000 Euro in bar und 4250 Euro in Reiseschecks.
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Keupstraße, Köln
Die Aufnahmen, die die Viva-Kameras am 9. Juni 2004 machen, sind die journalistisch wohl bedeutendsten, die der Musiksender jemals aufgezeichnet hat. Dabei hat Viva gar nicht geplant, die Bilder jemals auszustrahlen: Sie stammen von den Überwachungskameras des Sendezentrums. Zu sehen ist, wie Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt durch die Schanzenstraße in Köln laufen. Sie sind auf dem Weg zu einem Bombenanschlag.
Drei Tage zuvor hat Böhnhardt unter seinem Tarnnamen Holger G. in Zwickau einen schwarzen VW Touran gemietet, Kennzeichen: Z-EH 70. Er und Mundlos packen drei Fahrräder in die Großraumlimousine – ein Damenrad von Aldi und zwei Mountainbikes. Auf den Gepäckträger des Discounterfahrrads haben die beiden einen Motorradkoffer geschnallt.
Böhnhardt und Mundlos laufen fünfmal an den Viva-Kameras im Stadtteil Köln-Mülheim vorbei. Auf den Aufnahmen sieht man unter anderem, wie Mundlos allein mit einem Fahrrad mit Hartschalenkoffer auf dem Gepäckträger in Richtung Keupstraße geht. Kurz darauf folgt ihm Böhnhardt mit zwei Mountainbikes.
Mundlos stellt das Aldi-Fahrrad vor dem Friseurladen «Kuaför Özcan» in der Keupstraße ab. In der Straße betreiben viele Türken kleine Unternehmen: Fahrschulen, Kioske, Cafés, Schreibwarenläden, Restaurants, Immobilienbüros. Nachdem Mundlos das Rad an die Fensterscheibe gelehnt hat, fahren er und Böhnhardt auf ihren Mountainbikes davon.
Zurück lassen sie eine selbstgebastelte Nagelbombe in dem Hartschalenkoffer auf dem Gepäckträger des Damenrads. Sie haben sie aus 5,5 Kilogramm Schwarzpulver, tausend Zinknägeln, einer Glühbirne und einem Batterieblock selbst
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