Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition)
deswegen Beate Zschäpe anspricht, ob ihre Mitbewohner auch Pistolen oder Gewehre in der Wohnung lagern, antwortet sie: «Ja, aber die beiden sind Mitglied im Schützenverein und haben eine Erlaubnis dafür.» Damit ist die Sache für die Nachbarin geklärt.
Am 25. Februar 2004 ist Mehmet Turgut seit zehn Tagen in Rostock zu Besuch, um einem Bekannten in dessen Dönerimbiss auszuhelfen. Kurz vor 10 Uhr schließt er «Mr. Kebab» auf. Der Imbiss ist in einem Container untergebracht, der im Rostocker Stadtteil Toitenwinkel auf einer freien Fläche zwischen Neubaublocks steht. Turgut räumt die Stehtische und einen Metallpapierkorb vor den Stand, brüht frischen Kaffee auf und startet den Motor, der den Dönerspieß im Kreis drehen lässt. Kurz nach zehn stellt sich der erste Kunde unter das Vordach und bestellt einen Kaffee aus der Maschine.
Der junge Mann hinter dem Verkaufstresen stammt aus dem Dorf Kayalik Köyü in Ostanatolien. Die Berge sind karg in dieser Gegend, im Winter wird die Erde unter dem Schnee bis zum Frühling unnutzbar. Die Menschen leben von Ackerbau und Viehzucht. Ein Holzwagen, der von zwei Kühen gezogen wird, ist in den Bergen kein ungewöhnliches Transportmittel. Für einen jungen Mann wie Mehmet Turgut ist das kein besonders erstrebenswertes Leben.
Dreimal ist Mehmet Turgut in den vergangenen Jahren unter großer Gefahr illegal nach Deutschland eingereist. Zehn Jahre hat er versucht, im Land seiner Träume Fuß zu fassen. Jetzt, Anfang 2004, sieht er für sich ein, dass die Bundesrepublik nicht seine Zukunft sein wird. Zu seinem Chef sagt der 24-jährige Türke in diesen Tagen, dass er Angst habe, als Illegaler wieder verhaftet zu werden, und darum jetzt endgültig zurück in die Türkei gehen wolle. Doch dazu wird er keine Chance mehr erhalten.
«Er war der netteste Mensch, den ich je gekannt habe, immer sehr höflich, immer sehr freundlich», sagt ein Freund aus Rostock über Mehmet Turgut.
An diesem Mittwochmorgen im Februar 2004 ist Turgut noch bei der Vorbereitung der Zutaten für Dürüm und Döner, als Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos um 10:14 Uhr in die Küche des Dönerstandes treten. Einer hält Turgut eine Česká-Pistole mit einem langen Schalldämpfer ins Gesicht. Mehmet Turgut wirft sich auf den Boden, als ihn von oben vier Schüsse treffen. Die Kugeln durchsieben seinen Kopf, seine Kehle und seinen Nacken. Der letzte Schuss ist ein Steckschuss in den Kopf. Um 11:10 Uhr stirbt Mehmet Turgut.
33
Verkappte Grüne
Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt sind zuverlässige Mieter, grüßen stets freundlich, wischen regelmäßig das Treppenhaus, und im Winter schippt einer der Männer auch mal den Schnee vor der Haustür – obwohl es einen Winterdienst gibt. Einmal verschwindet eine der beiden Katzen von Beate Zschäpe. Dem jungen Mann, der die geliebte Katze wiederbringt, zahlt sie 500 Euro Finderlohn. Wenn das Trio mal wieder länger unterwegs ist und Nachbarn seinen Hausdienst mit übernehmen müssen, bedankt sich Beate Zschäpe nach dem «Urlaub» bisweilen mit einem Blumenstrauß. Wegen ihrer Naturliebe, der Campingurlaube und weil die drei kein Auto haben, aber häufig mit dem Fahrrad fahren, glaubt eine Nachbarin, dass die drei jungen Menschen in der WG «verkappte Grüne» seien.
Manchmal setzt sich Beate Zschäpe nachmittags zu der Frauenrunde, die hinter dem Haus im Garten Kaffee trinkt und abends auch schon mal einen Wein aufmacht und grillt. Nach und nach freunden sich drei fast gleichaltrige Frauen im Haus an. Ihnen erzählt Zschäpe, einer der beiden Mitbewohner sei ihr Partner, der andere dessen Bruder. Mal behauptet sie, ihr Lebensgefährte sei bei seinem Vater angestellt und oft auf Montage, ein anderes Mal, er sei selbständig und deshalb so oft unterwegs. Auf jeden Fall müsse sie sich ums Geld keine Sorgen machen.
Im Sommer liegt Beate Zschäpe manchmal auf einer Decke hinter dem Haus und sonnt sich.
«Alle haben die Liese gemocht, sie hatte so was Unbeschwertes und Lustiges», erinnert sich ein Nachbar. Freundlich, zuvorkommend, höflich sei sie gewesen, sagen alle, mit denen man spricht. «Sie war eine gute Seele», meint eine andere Nachbarin. «Ich warte drauf, dass es wieder mal klingelt, sie vor der Tür steht und mich in den Arm nimmt.»
Die Frauen erinnern sich daran, dass Beate Zschäpe stets modern gekleidet war, sich auch mal Ringelstrumpf-Leggins anzog und sich immer wieder anders zurechtmachte: «Sie hatte fünf verschiedene Gesichter.»
Weitere Kostenlose Bücher