Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition)
2006 die Belohnung auf 300000 Euro auf – es ist der höchste Geldbetrag, der in der deutschen Polizeigeschichte jemals ausgesetzt wurde.
Während die Medien spekulieren, ermittelt die Soko «Bosporus» auch bereits in eine andere Richtung. Im Mai 2006 sendet der Profiler sein zweites Gutachten an die Ermittler. Der psychologisch arbeitende Kriminalpolizist lenkt den Blick der Sonderkommission weg von der organisierten Kriminalität und von extremistischen Türken hin zu einem «fremdenfeindlichen Serientäter».
Sein «Täterprofil» zeichnet das Bild von einem oder zwei männlichen deutschen Tätern, die zwischen 22 und 28 Jahre alt sind und «eine ablehnende Haltung gegenüber Ausländern, speziell Türken», haben. Wahrscheinlich sind sie schon einmal im Bereich «Staatsschutz (rechts)» oder bei einer Sachbeschädigung als «stellvertretendes Aggressionsdelikt» aufgefallen. Zwischen den Killern herrsche ein «sehr enges Vertrauensverhältnis im Sinne einer ‹verschworenen Gemeinschaft›». Es sei darum möglich, dass sie auch vorher bereits zusammen Straftaten begangen hätten.
Vor Beginn der Mordserie könnten die Männer in der rechten Szene unterwegs gewesen sein; da sie die Aktionen der anderen Neonazis aber als «zu schwach» angesehen hätten, könnten sie beschlossen haben, ihre eigene Mission zu starten. Nach dem Motto: «Taten statt Worte.»
Erstaunlicherweise passt die Beschreibung ziemlich genau auf Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, die Türken hassen, bis zum Untertauchen fest in der rechten Szene verankert waren und im Mai 2005 gerade 27 und 31 Jahre alt sind. Sogar das gleiche Motto nennen sie in ihrem Bekennervideo.
Der Fallanalytiker der Polizei vermutet außerdem, dass die Männer über «Routine im Umgang mit Schusswaffen» verfügen. Von Mord zu Mord würden sie sich professionalisieren – benötigten die Täter am Anfang ihrer Serie noch mehrere Schüsse, hätten sie ihre letzten Opfer meist mit nur einem gezielten Schuss getötet. Eine «professionelle Ausbildung (evtl. Militär)» hält der Ermittler für wahrscheinlich. Das Schießtraining könnte aber auch Teil der Freizeit sein, etwa beim Gotcha- oder Ego-Shooter-Spielen.
Doch in einem zentralen Punkt irrt der Profiler. Weil die Täter drei Menschen in Nürnberg und zwei in München erschossen haben, glaubt er, der oder die Täter hätten ihren «Ankerpunkt in Nürnberg».
Nach dieser Analyse beschließt die Soko, alle Rechtsradikalen in Nürnberg zu überprüfen. Die Fahnder wollen Rechtsrock-Konzerte in der Region besuchen, Wehrsportgruppen ausfindig machen und in fränkischen Schützenvereinen ermitteln. Außerdem beantragen sie beim bayerischen Verfassungsschutz eine Liste mit allen Rechtsextremisten, Neonazis, NPD-Mitgliedern und Skinheads, die in den vergangenen zehn Jahren in Nürnberg und Umgebung aktiv gewesen sind, ungefähr 3500 Personen.
Der Geheimdienst sperrt sich. Ein Streit zwischen den Behörden beginnt. Monatelang antwortet der Dienst nicht auf die Anfrage der Polizeikollegen. Der Verfassungsschutz gibt die Namen mit Verweis auf Datenschutz nicht heraus. Später behaupten die Geheimdienstler, die Anfrage sei nicht konkret genug gewesen.
Im April 2006 beschwert sich ein Mitarbeiter des Bundeskriminalamts beim Bundesinnenministerium. Er schreibt in einem Brief, dass nach sechs Jahren und neun Morden immer noch kein Täter gefasst ist, und bemängelt das Durcheinander der verschiedenen Ermittlungsgruppen. Die Strafverfolgungsbehörden von fünf Bundesländern und das BKA seien an der Fahndung beteiligt, aber es gebe keine zentrale Ermittlungsführung, Aktenführung und Koordinierung. «Die Erfahrungen aus der bisherigen Zusammenarbeit mit der BAO Bosporus in Nürnberg sind nicht nur positiv, da konkrete Absprachen nicht immer erreichbar waren und/oder nicht eingehalten wurden.»
Dabei will die Soko «Bosporus» die «zentrale Ermittlungsführung» bei der Jagd auf die Česká-Mörder 2006 gern dem Bundeskriminalamt übergeben. Aber das BKA lehnt ab. Vielleicht scheut man die damit verbundene Öffentlichkeit. Denn im selben Jahr wehen in ganz Deutschland Fahnen, die «Die Welt zu Gast bei Freunden» versprechen. Eine öffentliche Aufregung, weil Neonazis gezielt Ausländer erschießen und die Sicherheitsbehörden sie nicht fangen können, soll wohl im Jahr der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland unbedingt vermieden werden.
Außerdem gibt es Probleme mit der Polizeisoftware. Das System «Easy» aus
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