Die zerborstene Klinge: Roman (German Edition)
Ältere, Maylien, als ihre Erbin für die Baronie von Marchon zu bestätigen. Eine Verwandtschaft mit dem verstorbenen Ashvik wurde jedoch nicht erwähnt (darauf hätte ich wetten können).
Thauvik schloss Maylien von der Erbfolge aus, da sie im Zuge ihres Exils Magierweihen empfangen hatte, und setzte an ihrer Stelle Sumey als Erbin ein (offenbar fühlte er sich auf dem Thron seinerzeit wohl und sicher genug, dass er dem Odium der Exekution seiner Nichten aus dem Wege gehen wollte). Kurze Zeit später beging Juli Selbstmord, und Sumey erbte den Titel der Baronin Marchon. Zu dieser Zeit war Maylien erneut verschwunden, und es kamen Gerüchte auf, die besagten, sie hätte ihre Mutter ermordet, Gerüchte, die von ihrer leidtragenden Schwester hitzig (zu hitzig) dementiert wurden.
Da war noch einiges über Thauvik und über die Ambitionen, die der Autor bei ihm zu erkennen glaubte, aber nichts, was mich interessiert hätte. Und das war es dann auch. Ich las meine Notizen laut vor, einerseits Triss zuliebe, andererseits, um sie mir besser einzuprägen. Danach bat ich ihn, sie für mich zu vernichten, während ich versuchte, mir meinen nächsten Schritt zu überlegen. Weder hatte ich genügend Zeit noch gute Möglichkeiten.
Ich war verpflichtet, einem Mädchen, das möglicherweise seine Mutter ermordet hatte, dabei zu helfen, einen Adelstitel zurückzuerobern, den der derzeitige König ihm verweigert hatte. Natürlich immer vorausgesetzt, dass Maylien überhaupt noch am Leben war. Hinzu kam, dass ich einst den Vorgänger diesesKönigs, der außerdem Mayliens Vater gewesen war, gemeuchelt hatte und dass ich gegen einen Mann antreten musste, der einst mein engster Freund gewesen war ... in meinem Kopf drehte sich alles.
»Wie zum Teufel bin ich da hingeraten?«
»Indem du einen König getötet hast«, sagte Triss.
10
E inst hatte ich einen König getötet. Ich war siebzehn und gepanzert mit der Sicherheit meines Glaubens, vollkommen überzeugt vom Sinn meines Lebens. Ich war Aral Königsmörder, Klinge und Schwertführer der Namara und stolz darauf. Diesen Mann gab es nun nicht mehr, er war irgendwo in den Tiefen seiner Seele verloren gegangen, die an der Ermordung ihrer Göttin zerbrochen war.
Manchmal konnte ich ihn dort unten in der Dunkelheit spüren, wenn er sich mit den Fähigkeiten bemerkbar machte, wie ich sie für Arbeiten im Schattengewerbe nutzte, die er freiwillig niemals angerührt hätte. Oder in dem flüchtigen Zorn, den ich im Angesicht von Ungerechtigkeiten empfand, einem Aufflammen der Moral, die mir von den Priestern und Meistern tief in die Seele geprägt worden war. Oder, dann und wann, bei schwarzem Humor, der durch die mangelnde Nutzung der letzten fünf Jahre ein wenig angerostet war. Nun brauchte ich ihn, um Aral, dem Löhner, zu helfen, seine Schuld abzutragen – gegenüber Maylien, gegenüber Devin, gegenüber den Toten –, doch ich wusste nicht, wie ich ihn finden konnte.
Ich erhob mich von dem kleinen Schreibtisch, ließ das Pamphlet liegen, auf dass Harad es später wieder einsammeln konnte, und fing an, nachdenklich auf und ab zu gehen. Von dem Tag an, an dem man mich in den Tempel gebracht hatte, hatte man mich gelehrt, wie ich Männer und Frauen zu jagen hatte, wie ich mich anschleichen und die Unachtsamen schnappen konnte, wie ich sie auf Hunderte von Arten töten konnte. Bis ins Mark war ich ein Menschenjäger, ausgebildet in der Kunstdes Pirschens und Tötens von den Besten der Welt. Aber das war wirklich keine Hilfe, wenn der Mensch, den ich zu jagen hatte, ich selbst war.
Oder doch? Konnte ich die Fähigkeiten des Menschenjägers auf mich selbst anwenden? Und wenn, womit anfangen?
Und dann, als wäre es erst gestern gewesen, war mir, als hörte ich Meister Kelos’ Stimme: »Wenn du nicht weißt, wie du dich deinem Ziel nähern sollst oder, schlimmer, es nicht finden kannst, schau dir seine Geschichte an. Wenn du deine Zielperson wirklich verstehst, wenn du ihren Werdegang und ihre Gewohnheiten kennst, kannst du ihre Handlungsweise vorausahnen, ihren Aufenthaltsort und sogar den präzisen Zeitpunkt, in Aktion zu treten. Begreifen beginnt am Anfang. Was hat die Person zu der gemacht, die sie heute ist?«
Wo lagen die Anfänge von Aral Königsmörder? Das lieferte mir den Ausgangspunkt. Denn der Königsmörder war nicht erst mit dem Tod Ashviks geboren worden; das war nur der Moment, der ihm seinen Namen gegeben hatte. Nein, der Aral, der zum Königsmörder geworden war,
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