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Die Zerbrechlichkeit des Gluecks

Die Zerbrechlichkeit des Gluecks

Titel: Die Zerbrechlichkeit des Gluecks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Schulman
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Telepathie, bevor es sich in der Gabelung zwischen zwei blühenden Ästen zusammenrollte. Die Natur existiert, dachte Liz, und triumphiert. Auch wenn wir die Erdkrümmung mit einer Betonkruste versiegeln oder einen Teppich aus künstlich ausgesätem Rasen ausbreiten. Zeit zu verweilen und den Sieg des Echten über die Fälschung oder gar das Simulierte zu erörtern gab es allerdings nicht. Schon trottete Liz zum weit aufgesperrten Maul der Engineer’s Gate an der Ecke Fifth Avenue und 90th Street hinunter. Sie schwitzte stark und konnte auch ihr Parfum riechen – nach all den Jahren immer noch Chanel No. 5 –, olfaktorisch überlagert von ihrem faden Deodorant »Cool Powder« und ihrem eigenen stinkenden Schweiß. Während sie, den Blick gen Süden gerichtet, die Straße überquerte, bemerkte Liz den gedrungenen Kreisel, wie ein Softeis sah es aus: das Guggenheim-Museum. Und obwohl sie spät dran war und von Vorahnungen getrieben regelrecht rannte, vertändelte sie ein paar Sekunden, um es zu betrachten. Ach Gott, dachte sie, hier zu wohnen hätte mir schon sehr gefallen können.
    Dann bog sie in Richtung Osten ab, nahm den letzten Häuserblock im Joggingtempo. Außer Atem gesellte sie sich vor dem stattlichen Kalksteingebäude der Grundschule schließlich mit wild pochendem Herzen zu den anderen nicht berufstätigen Müttern, den Kindermädchen und Au-pairs, auch ein paar versprengte Väter waren dabei – aber nicht Richard –, denn sie ernteten Pluspunkte, wenn sie sich bei Veranstaltungen zeigten, diese Väter, selbst wenn sie unterdessen ständig E-Mails schickten und empfingen. Beim Winterkonzert, von der Empore aus, der wirklich allerhintersten Ecke des Schultheaters, wo Liz und Richard sich wohlweislich niedergelassen hatten, war ihnen der abgedunkelte Zuschauerraum unten wie die nächtliche Prärie vorgekommen – all die BlackBerrys mit ihren wie Glühwürmchen glimmernden Morsezeichen.
    Liz fuhr sich nervös durchs Haar. Es war inzwischen an der Luft getrocknet und im Wind ganz durcheinandergeraten. Sie hatte vergessen, eine Bürste einzupacken.
    »Ich hasse diesen Mist.« Sydney schlängelte sich mit ihrer unverkennbaren katzenhaften Grazie heran. Sie war heute ganz in Weiß, eine bauchfreie, tief auf der Hüfte sitzende Leinenhose und ein knappes Trägerhemdchen, das ihr wie lose über die Wäscheleine geschwungen vom Schlüsselbein hing. Die Haut an ihren straffen, wohl trainierten Armen und Schultern schimmerte bronzefarben. Sie kaute Kaugummi und bot Liz ebenfalls einen Streifen an.
    »Keine liebt ihre Kinder mehr als ich«, sagte Sydney. »Aber selbst Clemmie findet all diese Veranstaltungen übertrieben. Die würde viel lieber daumenlutschend zu Hause sitzen und aus dem Fenster gucken.«
    »Ganz meine Kragenweite«, sagte Liz.
    Sydney legte Liz sanft die Hand auf die Schulter. »Wie geht’s denn Jake?«
    Liz war klar, dass sie es lieber lassen sollte – Richard würde sie umbringen –, aber sie war high und fühlte sich einsam und war dankbar für das Interesse.
    »Nicht so besonders.« Sie drehte sich die heißen Haarsträhnen aus dem feuchten Nacken. Und dann, als würde ihr plötzlich die Wahrheit dämmern: »Ich glaube, der passende Ausdruck für seinen Zustand ist: am Boden zerstört. Wir lassen ihn eine Therapie machen, aber trotzdem … ich bin ehrlich bald so weit, dass ich mich erschieße.«
    Kevin, der Sicherheitswachmann, trat in seinem grauen Blazer und den pilzbraunen Hosen heraus, das breite Gesicht rosarot. »Alle Vorschuleltern und Kindermädchen, bitte mit in die Aula.«
    Sydney warf Liz einen schmelzenden Blick voller Mitgefühl zu, als die roten Türflügel sich öffneten. Die Menge schob sich vorwärts.
    Plötzlich wechselte die Strömung, und wie mitten in einer herumhopsenden Punkkonzertmeute wurde Liz, mit den Füßen kaum den Boden berührend, im Gewühl vorwärtsgetragen. Sie wandte sich suchend nach Sydney um, doch deren glatter brauner Bubikopf glänzte inzwischen weit vor ihr in der Sonne.
    »Da bist du ja«, sagte Casey. Die Haare zu zwei Rattenschwänzchen gebunden, sah sie irgendwie älter aus, als sie eigentlich war. Verschrumpelter, fand Liz. Eher wie eine alte Backpflaume. Sie trug ein ziemlich läppisches T-Shirt mit einem Affengesicht und einen zerknitterten Baumwoll-Stufenrock, fast als wollte sie sich für Halloween als ihre eigene Tochter kostümieren.
    »Ich will schon die ganze Zeit unbedingt mit dir reden«, sagte Casey.
    »Ach«, machte Liz.
    »Wie

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