Die zerbrochene Welt 01 - Die zerbrochene Welt
das nie verzeihen.
Also lief er schneller und schneller und kam dem Wüterich allmählich näher. Wie viele Menschen , fragte sich Taramis, müssen noch sterben, nur weil deine Beine zu langsam sind? Die Antwort kam prompt, so als habe in seinem Bewusstsein jemand nur darauf gewartet, sich zu Wort melden zu dürfen. Gar keiner mehr, wenn du endlich deine Gaben nutzt .
Taramis wurde schmerzlich bewusst, dass er wieder den alten Fehler begangen und sich zu sehr auf seine äußeren Sinne und Muskeln verlassen hatte. Du bist ein Gaukler. Also gaukle dem Fischkopf etwas vor , empfahl der namenlose Ratgeber.
Mitten im Lauf formte Taramis im Geist das Bild eines undurchdringlichen Dickichts. Die Illusion nahm Gestalt an, als Gaal seinen nächsten Haken schlug.
Der Antisch stemmte die Sohlen in den Waldboden und kam stolpernd zum Stehen. Er wirkte überrascht, dass ausgerechnet hier, in dem am liebevollsten gepflegten Garten der Welt, ihm ein solches Hindernis den Weg versperrte.
»Keine Bewegung!«, rief Taramis, als er bis auf wenige Schritte herangekommen war.
Anstatt auf ihn zu hören, verwandelte sich Gaal in einen Säbelzahnbären. Er richtete sich auf seine Hinterbeine auf, brüllte ohrenbetäubend und schickte sich an, den Stabträger anzugreifen.
Taramis umgab sich mit dem Trugbild eines Mamoghs. Es war Allons Ebenbild, das er dem Bären gegenüberstellte.
Hätte Gaal die Riesenschwallechse trotzdem angegriffen, wäre ihm der Betrug sofort aufgefallen. Doch er konnte nicht wissen, über welche Geistesgaben sein junger Widersacher verfügte. Daher wählte er einen anderen, einen menschlichen Körper mit großen fledermausartigen Flügeln. Die Gestalt war nur mit einem Lendenschurz bekleidet, ungewöhnlich schlank und sehnig. Ihre Haut blass zu nennen, wäre eine Untertreibung, schneeweiß traf es wohl besser.
Gaal hatte sich in einen Weißblütler verwandelt, einen Zioraner, wie sich die Angehörigen des in der unteren Polregion lebenden Volkes selbst nannten.
Der Flügelmensch breitete seine Schwingen aus und beugte die Knie. Offenbar wollte er fliehen.
Taramis holte mit dem Stab aus, besann sich aber plötzlich eines Besseren. Beim Zweikampf gegen Gaals Sohn hatte er auf diese Weise seine mächtigste Waffe eingebüßt. Flugs ließ er Ez in die Schildhand springen und riss Malmath aus der Scheide.
Der Zioraner stieß sich vom Boden ab. Mit einem einzigen Flügelschlag schwang er sich mindestens drei Mannslängen in die Luft.
Dann traf ihn das Schwert am rechten Arm.
Ein grauenvoller, durchdringender Schrei hallte durch den Wald. Der Flügelmensch stürzte ab.
Ehe Taramis bei ihm war, hatte Gaal sich schon wieder aufgerappelt und seine natürliche Gestalt angenommen. Oder war er darin zurückgefallen? Es hieß ja, stachellose Antische könnten ihre Macht nicht frei entfalten. Sein rechter Arm hing schlaff herab und er atmete schwer. An der Schulter klaffte ein Dreiangel im Kettenhemd, Blut quoll aus dem Loch.
Taramis hatte aus den Zweikämpfen mit Dov und Reghosch gelernt. Er wollte seinen Gegner kein weiteres Mal unterschätzen. Daher blieb er zunächst außer Reichweite von Gaals Schwert und setzte ihm mit dem Stab zu. Immer wieder stach er nach ihm und jedes Mal wich der Antisch blitzschnell aus.
Unterdessen trafen die ersten Zeridianer und Dagonisier am Ort des Geschehens ein. Aus den Augenwinkeln sah Taramis die hellen Gewänder von Shúria und Eli. Lass dich nicht ablenken! , ermahnte er sich.
»Dein Schwert habe ich dir schon abgenommen«, sagte Gaal mit grimmigem Lächeln. »Als Nächstes nehme ich mir deinen Feuerstab. Und dann bist du an der Reihe.«
»Euren Sohn Reghosch habe ich auch ohne Schwert und Stab besiegt«, entgegnete Taramis. Er hoffte, den König dadurch zu provozieren.
»Du lügst!«, zischte Gaal. Er verzog das Gesicht, wohl, weil der Schmerz in der Schulter ihm so zusetzte.
»Nein. Habt Ihr ihn nicht nach Dunis geschickt, um uns im Haus Jagurs abzupassen? Reghosch – oder sollte ich ihn besser Bochim nennen? – ist ein Seelenfresser wie Ihr. Er hat uns im Körper Tagors, des einstigen Kerkermeisters von Karka, seine Dienste angeboten.« Taramis deutete auf Eli. »Wie Ihr seht, ist es ihm nicht gelungen, den Hohepriester in seine Gewalt zu bringen. Mit Gaos Hilfe habe ich Euren Sohn gestellt und getötet.«
Gaals Reaktion mochte durchaus unbedacht sein, doch sie war weitaus gewaltiger als der Nebelwächter es erwartet hatte. Mit wütendem Brüllen stürzte sich der
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